Theologe Dahlke sieht Chancen für innere Befriedung der USA

Zwischen Befremdung und Verheißung

Nach dem Mord an dem christlich-fundamentalistischen Aktivisten Charlie Kirk kommen die USA kaum zur Ruhe. Wie sehen die Folgen der religiösen Aufladung für die grassierende Polarisierung aus? Eine Einschätzung von Benjamin Dahlke.

Autor/in:
Prof. Dr. Benjamin Dahlke
USA: Noch Hoffnung auf Befriedung? (dpa)
USA: Noch Hoffnung auf Befriedung? / ( dpa )
Benjamin Dahlke / © Dr. Christian Klenk/KU Eichstätt-Ingolstadt
Benjamin Dahlke / © Dr. Christian Klenk/KU Eichstätt-Ingolstadt

Politische Gewalt kommt in den USA inzwischen gehäuft vor. Erst kürzlich wurde der konservative Aktivist Charlie Kirk erschossen. Zuvor waren bereits mehrere Politikerinnen und Politiker – beider Parteien – angegriffen worden. Geschuldet ist das der massiven Polarisierung im Land. Es wirkt, als gebe es zwei verschiedene Amerikas: einerseits die liberalen Küstenregionen mit ihren Metropolen, in denen die Demokraten dominieren, andererseits die ausgedehnten ländlich-konservativen Regionen, wo die Republikaner die Mehrheit stellen. Die Polarisierung geht aber noch tiefer: Hier die progressiven, international ausgerichteten Eliten mit Universitätsabschluss, dort die teils nostalgisch zurückschauende Industriearbeiterschaft, die mit Sorge auf die Globalisierung blickt. Auf die einen wirkt Donald Trumps Slogan "Make America great again!" höchst befremdlich, für die anderen enthält er eine Verheißung. 

Zwei verschiedene Amerikas?

Aber obwohl die Vereinigten Staaten genug Probleme wie beispielsweise die gestiegenen Lebenshaltungskosten, das kostspielige Gesundheitssystem und eine sich verfestigende Arbeitslosigkeit haben, stehen sich Republikaner und Demokraten unversöhnlich gegenüber. Sie sind zu ideologischen Lagerparteien geworden. Gerade weil die Abgeordneten kaum Gesetze beschließen, fällt umso mehr auf, dass der Präsident das Land mit Verordnungen regiert – man denke nur an die Zölle. Die Schwäche der Legislative führt also zu einer unguten Stärkung der Exekutive.

Blumen, Kerzen und Luftballons liegen an einer Gedenkstätte für Charlie Kirk vor dem Hauptsitz von Turning Point USA / © Jae C. Hong/AP (dpa)
Blumen, Kerzen und Luftballons liegen an einer Gedenkstätte für Charlie Kirk vor dem Hauptsitz von Turning Point USA / © Jae C. Hong/AP ( dpa )

Soweit der Befund. Aber was wird getan, um die Polarisierung zu überwinden? Antworten auf diese Frage zu finden, bemühen sich in den USA einige Universitäten. Sie haben Forschungsinitiativen gestartet, um über Lösungen für das genannte Problem nachzudenken. Besonders rege ist die private Stanford University in Kalifornien. Dort arbeiten Psychologen, Soziologen und Politikwissenschaftler zusammen, um die Bedingungen für eine funktionierende Demokratie herauszufinden. Jüngst fanden an der katholischen University of Notre Dame nahe Chicago zwei bemerkenswerte Veranstaltungen statt: Zum einen war Amy Coney Barrett, Richterin am Obersten Gerichtshof, zu Gast. Zum anderen diskutierten zwei Gouverneure miteinander: der Republikaner Spencer Cox aus Utah, der nach dem Attentat auf Charlie Kirk medial stark präsent war, und die Demokratin Michelle Lujan Grisham aus New Mexico. 

Drei Wege für die Überwindung der Polarisierung

Um die Polarisierung zu überwinden, scheinen ihnen allen drei Aspekte wichtig zu sein:

Erstens gelte es, einander zu begegnen. Solange ich die andere Person, die nicht meiner Meinung ist, nicht wirklich kenne, bleibt sie ein abstraktes Feindbild. Denn es wird nicht klar, warum jemand was sagt, welche Anliegen im Hintergrund stehen. Interessanterweise betonten sowohl die Richterin als auch die Gouverneure, wie wichtig es ist, miteinander zu essen. Über das rein Geschäftsmäßige hinaus ist also die persönliche Ebene relevant. 

Zweitens sollten die demokratischen Strukturen gestärkt werden. Um Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen, dienen Wahlen. Politische Gewalt ist dagegen entschieden abzulehnen. Das schließt Beschimpfungen und Drohungen ein, die in den Sozialen Medien geäußert werden. Allerdings müssten die Abgeordneten selbst Vorbild sein und kompromissbereiter werden, um Gesetze zu verabschieden. Gemäß der amerikanischen Verfassung ist der Kongress zentral, nicht der Präsident.

Demonstranten zeigen ein Plakat "I miss my country" - "Ich vermisse mein Land" - bei einem "No Kings"-Protestmarsch anlässlich der Militärparade in Washington zum 250-jährigen Bestehen der Armee. / © Alex Brandon/AP (dpa)
Demonstranten zeigen ein Plakat "I miss my country" - "Ich vermisse mein Land" - bei einem "No Kings"-Protestmarsch anlässlich der Militärparade in Washington zum 250-jährigen Bestehen der Armee. / © Alex Brandon/AP ( dpa )

Drittens ist nach Auffassung von Barrett, Cox und Lujan Grisham der Sachbezug entscheidend. Politikerinnen und Politiker müssen ein Problem, das die Menschen beschäftigt, zunächst klar benennen, um dann über Parteigrenzen hinweg nach der besten Lösung zu suchen. Die Gouverneurin von New Mexico hat etwa selbst die Nationalgarde angefordert, als die Kriminalität in einer Stadt ihres Bundesstaates Überhand nahm. Dafür wurde sie innerhalb ihrer eigenen Partei kritisiert, aber für die Menschen vor Ort war das ihrer Überzeugung nach richtig.

Ernsthafte Versuche der Versöhnung

Insgesamt ist die Polarisierung in den USA unübersehbar. Da ich gerade vor Ort bin, bekomme ich deutlich mit, wie angespannt die Stimmung ist. Fernsehen zu schauen, fällt mir schwer, derart aufgeregt wird berichtet. Gerade vor diesem Hintergrund bin ich froh darum, dass es ernsthafte Versuche gibt, mit der Polarisierung umzugehen. Sicherlich werden die Forschungsinitiativen der verschiedenen Universitäten nicht sofort den politischen Diskurs verändern, aber bestimmt allmählich. Ich bin überzeugt davon, dass es den Menschen in den Vereinigten Staaten gelingen wird, die Krise, in der ihre Demokratie momentan steckt, zu überwinden.

Prof. Dr. Benjamin Dahlke ist Lehrstuhlinhaber, Prodekan, Mitglied des Senats der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Von ihm stammt u.a. die Monografie "Katholische Theologie in den USA." Freiburg i.Br. u.a.: Herder, 2024.

Quelle:
DR

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