Theologe blickt auf Spiritualität und soziales Engagement

"Wes Geistes Kind bin ich eigentlich?"

Wo wirkt Spiritualität und welche Auswirkungen hat sie auf unser Handeln? Professor Joachim Windolph hat sich den Fragen rund um die Spiritualität angenommen und nimmt Christliche Spiritualität und soziales Engagement unter die Lupe.

Weihrauch steigt aus einer Schale / © Harald Oppitz (KNA)
Weihrauch steigt aus einer Schale / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Es geht um christliche Spiritualität und soziales Engagement. Spiritualität ist ein Begriff, mit dem viele nicht direkt etwas anfangen können und bei dem vieles auch schon mal durcheinander geht – Esoterik, Mystik, Meditation. Was sagen Sie?

Prof. Dr. Joachim Windolph (Professor für theologische Anthropologie und Ethik an der Kath. Hochschule NRW in Köln und Pfarrer im Dormagener Jugendhilfezentrum Raphaelshaus): Da gehe ich ganz mit Ihnen. Wenn Sie heute in eine Buchhandlung gehen und nach Literatur zur Spiritualität fragen würden, dann werden Sie wahrscheinlich zuerst in die Abteilung der Esoterik geschickt. Es ist in der Tat ein Container-Begriff geworden für alles, was menschliche Haltungen oder Auseinandersetzungen mit dem Transzendenten, mit dem, was wir nicht begreifen können, betrifft.

Ursprünglich, muss man tatsächlich sagen, stammt er aber aus dem christlichen Bereich und hat sich da mit der Frage beschäftigt, welche Haltung Menschen haben und aus welcher Haltung heraus sie leben und wie sich diese Haltung speist. Also warum tue ich das, was ich tue und wes Geistes Kind bin ich eigentlich? Deswegen Geist – Spiritualität, das ist die Wortherkunft dieses Begriffes.

Religiosität und Spiritualität (dpa)
Religiosität und Spiritualität / ( dpa )

DOMRADIO.DE: Das heißt bei Ihnen ist also Spiritualität verbunden mit der christlichen Religion direkt.

Windolph: Das ist mein Thema, das ich vertrete. Ich bin sicher, dass es auch Spiritualitäten gibt, also Haltungen von anderen Menschen, die auch sehr authentisch und sehr lobenswert sind. Das würde ich gar nicht für die christliche Spiritualität exklusiv in Anspruch nehmen.

Mir geht es aber natürlich darum, warum Christen das machen, was sie tun. Das kann man natürlich auch übertragen auf andere Menschen. Warum tun die das? Da geht es nicht nur um die Mutter Teresa, die so etwas wie der Inbegriff der Hilfsbereitschaft für Menschen ist.

Aber wenn Sie heute in die Welt schauen, wo Menschen etwas tun, etwa Politiker, die überwiegend von rechts mit bösen Parolen angefeindet werden oder auch die große Hilfsbereitschaft angesichts der Ukrainekrise, das ist ja wirklich verrückt, was das alles in Bewegung setzt.

Die Frage ist, warum tun die Menschen das? Und was motiviert eigentlich Christen, das zu tun? Mir wäre es zu einfach zu sagen: Da gibt es dieses Modell Jesu - und damit Feierabend. So einfach lässt sich das nicht kopieren. Man muss, glaube ich, in die eigene Biografie und die eigenen Wurzeln schauen.

Prof. Dr. Joachim Windolph (Professor für theologische Anthropologie und Ethik an der Kath. Hochschule NRW in Köln und Pfarrer im Dormagener Jugendhilfezentrum Raphaelshaus)

"Wenn ich mich einlasse auf die Bedürfnisse von anderen und gleichzeitig in mich hinein horche, dann kriege ich mit, was im Leben wichtig ist und wofür ich einstehen möchte. Das verändert dann definitiv die Welt."

DOMRADIO.DE: Wie kann denn Spiritualität das eigene, aber auch das fremde Leben verändern?

Windolph: Indem man sich ansprechen lässt. Wenn ich in meine eigene Biographie schaue: Irgendwie ist meine Biographie seit Jugendzeiten damit verbunden, dass ich auf andere Menschen zugehe und versuche, auch hilfsbereit zu sein.

Der größte Effekt ist eigentlich, dass ich dadurch selbst gelernt habe, was im Leben wichtig ist. Ich glaube, dass das in der sozialen Auseinandersetzung oder Begegnung mit Menschen geschieht.

Wenn ich mich einlasse auf die Bedürfnisse von anderen und gleichzeitig in mich hinein horche, dann kriege ich mit, was im Leben wichtig ist und wofür ich einstehen möchte. Das verändert dann definitiv die Welt.

Der andere, dem ich begegne, ist immer zuerst auch eine kleine Herausforderung, weil ich mich gerne mit Leuten umgebe, die so sind wie ich. Aber wenn ich mich auf die anderen Menschen einlasse und mitbekomme, dass sie auch genauso wie ich nach dem Leben suchen, nach dem, was mich trägt, worauf ich mich verlassen kann, dann mache ich sehr viele wichtige Erfahrungen, die mein Leben verändern und vielleicht auch das Leben der anderen.

Prof. Dr. Joachim Windolph (Professor für theologische Anthropologie und Ethik an der Kath. Hochschule NRW in Köln und Pfarrer im Dormagener Jugendhilfezentrum Raphaelshaus)

"Im Grunde fängt Spiritualität erst hinter der Kirchentür an."

DOMRADIO.DE: Wenn sich Menschen für soziales Engagement entscheiden, stößt man auf die Motivkraft der Spiritualität, sagen Sie. Wie passt das zusammen?

Windolph: Wie passt das nicht zusammen, würde ich fast zurückfragen. Auch an der Hochschule würde ich jeden Studierenden sofort fragen: Warum machst du das eigentlich, was du tust? Die tun das in der Regel nicht, weil sie ein großes Gehalt bekommen. Gut, man wird in der Sozialen Arbeit entlohnt.

Ich meine aber immer, gemessen an dem Beitrag für den sozialen Frieden wird man nicht so großartig belohnt, also wenn man betrachtet, was das für die Gesellschaft bedeutet. Aber das geht nicht anders.

Symbolbild: Geöffnete Kirchentür / © Markus Linn (KNA)
Symbolbild: Geöffnete Kirchentür / © Markus Linn ( KNA )

Für mich hört Spiritualität nicht an der Kirchentür auf. Das ist so der frühere Begriff. Man geht in die in die Kirche und ist dort fromm und kniet und betet. Und dann geht man raus und führt sein Leben. Nein, im Grunde fängt Spiritualität erst hinter der Kirchentür an, weil dann das sichtbar werden kann und muss, was ich dort jetzt aus christlicher Spiritualität von diesem christlichen Gott gegeben bekommen habe.

DOMRADIO.DE: Am Dienstag halten Sie einen Vortrag zu dem Thema im Domforum. Ist das etwas, was auch Ihre Gäste noch mal im besten Fall mitnehmen sollen nach Ihrem Vortrag?

Windolph: Wenn ich Dinge erzähle oder vortrage, dann lasse ich den Zuhörern frei, was sie da mitnehmen möchten. Aber was ich tatsächlich mitgeben möchte, ist, den Begriff der Spiritualität ein bisschen zu differenzieren. Und dann möchte ich natürlich auch hinterfragen, warum wir so leben, wie wir leben und ob es tatsächlich christliche Inspirationen gibt, die uns herausfordern, unser Leben so einzurichten, wie wir es dann tun.

Das Interview führte Carsten Döpp.

Information: Prof. Dr. Joachim Windolph spricht am Dienstag, 06.12.2022, um 19.30 Uhr im Domforum zum Thema "Christliche Spiritualität und soziales Engagement".

Quelle:
DR