Theologe Biesinger hält Ferkel-Kinderbuch für gefährlich

"Hetze gegen Juden"

Ein kleines Ferkel sorgt für großen Ärger: Im Oktober 2007 kam das religionskritische Kinderbuch "Wo bitte geht's zu Gott? fragte das kleine Ferkel" von Michael Schmidt-Salomon und Helge Nynke auf dem Markt. Das Bundesfamilienministerium hat inzwischen die Indizierung des Kinderbuchs als jugendgefährdende Schrift beantragt und die Diözese Rottenburg-Stuttgart stellte Strafanzeige wegen Volksverhetzung. Warum dieses Buch Kinder gefährdet, das erklärte der Tübinger Religionspädagoge Albert Biesinger am Donnerstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Stuttgart.

 (DR)

KNA: Herr Professor Biesinger, welche Kritik üben Sie an diesem Buch?

Biesinger: Dieses Buch ist pädagogisch, aber auch religionspädagogisch heftig zu kritisieren, und zwar nicht deswegen, weil es ein atheistisches Kinderbuch sein will. Es steht ja atheistischen Eltern frei, ihre Kinder atheistisch zu erziehen. Was zu kritisieren ist: Dieses Buch macht Kindern Angst vor Religion und Religionen. Die Vertreter der Religionen, beispielsweise der jüdische Rabbi, wird dargestellt wie der Stürmer im Dritten Reich. Die Nazis haben jüdische Rabbis damals ähnlich dargestellt, ich habe dafür Belege.

KNA: Sie sehen also klare antisemitische Tendenzen im Buch?
Biesinger: Eindeutig. Wir haben in der Religionspädagogik in den letzten 40 Jahren heftig daran gearbeitet, dass derartige Bilder aus den Religionsbüchern verschwinden, dass keine antisemitischen und antijudaistischen Vorurteile entwickelt werden. Jetzt kommt auf diesem Niveau diese Hetze gegen Juden auf den Tisch. Da muss ich als Mitarbeiter des Projektes "Judentum und Christentum im katholischen Religionsunterricht" der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) heftig Einspruch erheben. Aber auch Muslime werden in einer Weise dargestellt, die völlig inkompetent ist. Im Blick auf den Islam hat der Autor noch nicht einmal ansatzweise verstanden, um was es geht.

KNA: Wie wird denn das Christentum dargestellt?
Biesinger: Katholische Christen werden als "Menschenfresser" tituliert. Ein Zitat aus dem Buch belegt dies: "Das sind Menschenfresser! Wenn die schon den Sohn vom Herrn Gott verspeisen, wer weiß, was die kleinen Igeln und Ferkeln antun." Hier wird die Grenze von Religionskritik überschritten. Im Blick auf das eigentliche Verständnis von "Leib und Blut Jesu Christ" ist das völlig inakzeptabel. Außerdem erfüllt es den Tatbestand der Beleidigung; ich lasse mich von niemandem als "Menschenfresser" titulieren, weil ich mich am Brotbrechen und Kelchtrinken im Sinne des Auftrags Jesu beteilige.

KNA: Was kann das Buch bei Kindern anrichten?
Biesinger: Kleinere Kindern dürfen das Buch eigentlich überhaupt nicht in die Finger bekommen. Kinder nehmen so etwas eins zu eins und bekommen dann regelrecht Angst vor Religion. Nachdem es in der Kirche verboten ist, Kindern Angst vor Gott zu machen, macht das nun der Autor und vor allem auch der Illustrator in völlig unverantwortlicher Art und Weise. Der Hinweis der Autoren, dies sei alles nur Ironie, ist pädagogisch für ein Kinderbuch komplett sinnlos: Kinder können Ironie noch nicht verarbeiten und tragen entsprechende Schäden davon.
Aus erziehungswissenschaftlicher Sicht wird Kindern Angst vor Gott gemacht und das ist nicht erlaubt.

KNA: Inwieweit ist es denn Ihrer Meinung nach erlaubt religionskritisch zu sein?
Biesinger: In unserer Gesellschaft, in der das Grundgesetz die Religionsfreiheit schützt, muss es jedem Menschen uneingeschränkt möglich sein, sich religionskritisch zu äußern. Religionsfreiheit verbietet allerdings umgekehrt auch, Christinnen und Christen als "Menschenfresser" darzustellen und Religionsfreiheit verbietet auch, jüdische Rabbis als angstmachende, dunkle Gestalten darzustellen.
Beleidigungen dieser Art sind zu ahnden, da sie Vorurteile und Ängste aufbauen und Judentum, Christentum und Islam inkompetent darstellen.

KNA: Was fordern Sie nun?
Biesinger: Es ist in unserer Gesellschaft, in der alle von Integration und vom Verstehen des anderen religiösen Weges sprechen, ein öffentlicher Diskurs notwendig. Wir brauchen eine Atmosphäre der Verständigung und nicht der Vergiftung.

Interview: Ulrike Nowak (KNA)