Eigentlich war der Plan ein anderer. Gregor Neuhoff wollte Lehrer werden, Biologie und Religion am Gymnasium unterrichten, als Pädagoge jungen Menschen die Welt und ihre Zusammenhänge erklären. Allein schon die Vorstellung machte ihn froh. Priester zu werden – wie sein älterer Bruder Clemens – hatte er jedenfalls nicht im Blick, stellt er rückblickend fest.
Doch mit der Zeit seien immer mehr Fragezeichen aufgetaucht, erzählt der 27-Jährige. "Denn da war etwas, was mich noch mehr anzog." Um den Jahreswechsel 2022 hätten sich diese Zweifel noch einmal verdichtet, sein Glaubensleben habe eine intensive Phase erreicht. Im Gebet, aber auch in vielen Gesprächen sei er schließlich immer wieder um die eine Frage gekreist: Könnte der geistliche Weg nicht auch etwas für mich sein?
Innerlich Raum für Gott schaffen
Häufiger als sonst besucht er zu diesem Zeitpunkt die heilige Messe. Ein geistlicher Begleiter spiegelt ihm: "Äußerlich Gott Raum zu geben, schafft auch innerlichen Raum für Gott." Und in sich selbst hört er ebenfalls eine Stimme und reflektiert: "Wozu auch immer mich Gott ruft – ob zum Ehemann und Familienvater oder zum Priester – er will nur das Beste für mich, kein Mittelmaß. Sein Ruf wird mich glücklich machen – so oder so."
Der junge Mann, der zehn Geschwister hat und dessen Familie der geistlichen Gemeinschaft "Neokatechumenaler Weg" angehört, prüft seine Optionen und trifft eine Entscheidung. "Es gibt so viele junge Aufbrüche in der Kirche, neue geistliche Bewegungen", beobachtet er und denkt sich: "Dazu werden Priester gebraucht, Mitarbeiter im Weinberg des Herrn. Bleibe ich ohne Familie, habe ich eine noch größere Freiheit, für andere da zu sein."
Seit knapp zwei Jahren lebt der gebürtige Kölner nun bereits im "Redemptoris Mater", dem Erzbischöflichen Missionarischen Priesterseminar in Bonn-Endenich. Bereut hat er das nicht.
"Berufung ist etwas, was einem zutiefst entspricht", erklärt er und fügt hinzu: "Mein Vater sagt immer: Das Leben mit Gott ist ein Abenteuer. Jedenfalls beruft er zu Großem, das sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Seit meiner Entscheidung für das Priesterseminar spüre ich einen großen Eifer, eine neue Energie. Mein Studium absolviere ich inzwischen mit viel Ungeduld und Vorfreude auf das, was danach kommt. Ich wünschte, es wäre schon soweit und ich schon da, wo heute mein Bruder steht."
Eine Ausbildung fürs Leben
Gleichzeitig genieße er die intensive Zeit im Priesterseminar, das Theologiestudium an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) und die vielen Angebote im Haus. "In der Summe ist das eine Ausbildung fürs Leben", schwärmt er und meint damit auch die Missionspraktika, die einem die Chance eröffnen, Weltkirche zu erleben und pastorale Erfahrungen in Südamerika, Asien oder Afrika, aber auch in Spanien, Polen oder Holland zu sammeln, um Kirche einmal aus einer ganz anderen Perspektive – eben missionarisch – kennenzulernen.
Aber auch die praktischen Tätigkeiten in Haus und Garten, die Organisation des alltäglichen Seminarlebens, machen ihm Spaß. "Wir lernen nicht nur im Ausland, sondern auch hier mit der internationalen Ausrichtung des Seminars, wie bereichernd die Gemeinschaft mit Menschen aus ganz anderen Kulturkreisen ist und was das für die eigene Prägung bedeutet." Zudem gehe es während der Seminarzeit um ein ganz bewusstes Abwägen, um dann in Freiheit sagen zu können: Das ist das, was ich wirklich aus tiefstem Herzen will.
Nicht anders ergeht es Norbert Primius Kahamba aus Tansania, dessen Familie – die Mutter musste nach dem frühen Tod des Vaters sechs Kinder alleine groß ziehen – seit fast 40 Jahren dem Neokatechumenalen Weg angehört. Auch er sieht sich zunächst nicht als Priester, sondern studiert in der Heimat Landwirtschaft.
Eine geistliche Berufung habe er selbst lange nicht verspürt, sagt er, erst als andere ihn damit konfrontiert hätten und er ins Berufungszentrum des "Weges" in Dar-es-salaam, der größten Stadt Tansanias, eingetreten sei. Dort sei der Regens schließlich immer mehr für ihn zu einer Vaterfigur geworden. "Meinen eigenen Vater kannte ich ja kaum."
Zu diesem Zeitpunkt habe er unter starken Minderwertigkeitskomplexen gelitten. "Meine Familie war arm, und ich selbst hatte keinerlei Selbstbewusstsein" erzählt der 32-Jährige in fließendem Deutsch, der im Frühjahr sechs Wochen in Nigeria war und soeben von einem sechsmonatigen Missionspraktikum aus Kenia heimgekehrt ist. Auch er, so erzählt er, habe vor der Frage gestanden: Ehe- oder Priesterleben?
Individualität als Gewinn
Kahambas Antwort: "Gott ruft uns zur Heiligkeit, egal, für welchen Weg wir uns entscheiden. Das ist etwas, was mich sehr berührt. Denn ich weiß, Gott liebt mich, er kennt meine Zukunft und sorgt für mich." Den Willen Gottes zu tun, bereit sein zu dienen – das mache ihn heute überglücklich, so Kahamba. "Schließlich ist das, was wir tun, ja nicht für uns, sondern für andere."
Ein wenig ähnelt das Leben im Priesterseminar einem Internat – nur dass es natürlich keine Schlafsäle mehr gibt, sondern jeder seinen eigenen Rückzugsort hat und auch sonst Individualität als Gewinn und nicht als Bedrohung erlebt wird, schließlich teilen die Seminaristen in einem ehemaligen und malerisch gelegenen Benediktinerinnenkloster hoch über Bonn eine Vita communis.
Lediglich einen festen Rhythmus, der den Tag strukturiert, gibt es. Um 6 Uhr läutet in den Fluren eine Glocke, die zur Laudes ruft. Nach dem Frühstück übernehmen die Seminaristen den Küchendienst – Tisch abdecken und Spülen – selbst. Auf diese Weise sollen sie alltagstauglich werden und nebenbei hauswirtschaftliche Fertigkeiten erlernen. Das hilft dabei, eines Tages auch alleine zurechtzukommen.
Seminar finanziert sich weitgehend aus Spenden
Und es erdet. Denn schon an diesen kleinen Dingen lässt sich ablesen, dass es von nun an um einen Dienst geht. Außerdem verfügt das Seminar, das weitgehend von Spenden lebt, kaum über Angestellte. Vieles nehmen die jungen Leute daher sprichwörtlich selbst in die Hand. Fürs Kochen und Waschen, für die Verwaltung oder Hausleitung, den IT-Bereich, Renovierungen oder den Pfortendienst gibt es ansonsten ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die sich bereitwillig um die Seminarbewohner kümmern.
Was eine enorme Entlastung ist. Denn über den Tag verteilt nehmen diese dann an den Vorlesungen und Seminaren der KHKT teil, pendeln dafür täglich nach Köln. Im Seminar sieht das Gemeinschaftsleben verpflichtende Gebets- und Mahlzeiten vor. Trotzdem bleibt als Ausgleich genügend Freiraum schon allein für sportliche Aktivitäten, für die das großzügige Areal geradezu ideal ist. Fußball, Laufen oder Trainieren in einem kleinen Fitnessraum gehören genauso zur Freizeitgestaltung wie der Kicker oder die Playstation im Aufenthaltsraum.
Und dann, erklärt Seminarist Neuhoff, fahre ja auch jeder zweimal in der Woche zu seiner kleinen Gemeinschaft, einer Art Zweitfamilie, die sich aus Menschen ganz unterschiedlicher Lebenssituationen zusammensetzt: aus Alleinstehenden, jungen Familien, Priestern und Studenten.
In dieser festen Gruppe die Sonntagseucharistie zu feiern oder Wortliturgie zu halten und über Bibeltexte zu sprechen, sind wesentliche Bestandteile des Neokatechumenalen Weges. Der im Übrigen nichts anderes als ein Werkzeug zum Aufbau von Gemeinde sei oder zu ihrer Stärkung beitrage, so Neuhoff. "Hier geht es ganz praktisch darum, christlich zu leben – ganz nah am Evangelium – und immer wieder den Glauben im Austausch mit anderen zu vertiefen, ihn auf seine Relevanz hin für das eigene Leben zu überprüfen."
Dieser Aspekt spielt auch in Porto San Giorgio, einem kleinen Ort an der italienischen Adriaküste, wo das Neokatechumenat ein Zentrum unterhält, eine große Rolle. Hier treffen sich einmal im Jahr potenzielle Seminaristen und angehende Priester zu Exerzitien, bei denen oft lebensentscheidende Weichen gestellt werden. Zumal hier bestimmt wird, welcher Kandidat in welches Seminar auf welchen Kontinent ausgesandt wird.
Prinzip einer bedingungslosen Freiwilligkeit
Alle Namen kommen in einen Topf, dann wird gelost. "Es ist natürlich super spannend zu erleben, wenn jemand manchmal für Monate oder auch Jahre nach Kolumbien, Bolivien, Peru oder Südafrika geht", erklärt Neuhoff. Denn mitunter finde in diesem Land dann auch seine Priesterweihe statt.
Das Prinzip einer bedingungslosen Freiwilligkeit ohne Druck, selbst wenn jeder schon eine starke religiöse Prägung durch die Zugehörigkeit zum Neokatechumenalen Weg von daheim mitbringt, bestätigt auch Norbert Kahamba, der von klein an in dieser geistlichen Bewegung aufgewachsen ist. "Der Freiheitsaspekt dieses Seminars hat mich von Anfang an positiv beeindruckt. Hier kann ich sein, wie ich bin, weil ich mit allen meinen Stärken und Schwächen akzeptiert werde."
Das sei eine ganz tolle Erfahrung und schaffe eine große Weite. Wie oft habe er darum gebetet, sich selbst und seine Geschichte annehmen, die vielen Wunden seines Lebens heilen zu können. Nie hätte er für möglich gehalten, eines Tages in Deutschland zu studieren – in einem fremden Land mit fremden Menschen – um Priester zu werden.
Inzwischen habe er mehr Selbstvertrauen gewonnen und sei überzeugt: "Gott ist immer für mich da." So offen über sich selbst sprechen zu können und in der Priesterausbildung immer noch dazuzulernen, mache ihn zutiefst dankbar. "Wozu auch immer Gott mich ruft – ich bin bereit."
Abschließende Information
An diesem Sonntag öffnet das Erzbischöflich-Missionarische Priesterseminar Redemptoris Mater des Neokatechumenalen Weges seine Türen. Regens Monsignore Salvador Pane und die Seminaristen gewähren einen Einblick in das mitten im Grünen gelegene Seminar, das sich in einem ehemaligen Benediktinerinnenkloster in Bonn-Endenich befindet.
Zwischen 14 und 18 Uhr können Besucherinnen und Besucher das Haus kennenlernen, sich über die Ausbildung und den missionarischen Auftrag informieren und mit den Seminaristen ins Gespräch kommen.
Außerdem führen sie durch das Haus und sein weitläufiges Außengelände. Der Tag endet mit einem Abendgebet und dem Primizsegen durch Neupriester Carlo Cincavalli. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.