Syrischstämmiger Arzt: Flüchtlinge kennen religiöse Toleranz

Zusammenleben gewohnt

Der syrischstämmige Faes Aboudan lebt schon lange in Deutschland. Er kann die Bedenken bezüglich der Integration der Flüchtlinge verstehen. Aber er sagt im Interview auch: Das Zusammenleben unterschiedlicher Religionen sind die Syrer gewohnt.

Flüchtlingsfrau mit ihrem Kind  / © Benjamin Westhoff (dpa)
Flüchtlingsfrau mit ihrem Kind / © Benjamin Westhoff ( dpa )

domradio.de: Sie wohnen seit 60 Jahren in Deutschland. Was halten Sie davon, dass Deutschland sich zunächst so offen gegenüber der Menschen aus Ihrem Herkunftsland gezeigt hat?

Dr. Faes Aboudan (Vorsitzender des Deutsch-Syrischen Vereins von 1987): Das ist erstaunlich und überwältigend. Das muss ich wirklich sagen. Obwohl ich seit 60 Jahren in Deutschland lebe, habe ich das noch nie so erlebt. Die Deutschen haben sich von ihrer sehr positiven Seite gezeigt. Da ist man sprachlos.

domradio.de: Hätten Sie sich in den vergangenen Jahrzehnten gewünscht, selbst mit "Welcome"-Plakaten begrüßt worden zu sein - beziehungsweise mit der Haltung dahinter?

Aboudan: Ich kann verstehen, dass das damals bei mir nicht so gewesen ist. Ich bin als Student hierher gekommen und bin - wie man so schön sagt - hier hängengeblieben. Es gab damals schon von Seite der Behörden in der Weise Probleme, dass sie Druck ausgeübt haben. Diejenigen, die ihr Studium beendet hatten, sollten in die Heimat zurückkehren. Viele Akademiker sind dann auch zurückgegangen. Ich war hartnäckig und bin geblieben. Damals war Deutschland verschlossener. Das Land hat sich gesellschaftlich und politisch total verändert. 

domradio.de: Viele Menschen in Deutschland haben Angst vor den Folgen der Flüchtlingskrise, gerade was das Zusammenleben mit Muslimen betrifft. Welche Lösungen gibt es aus Ihrer Sicht für ein friedliches Zusammenleben?

Aboudan: Das erfordert schon ein intensives soziales Engagement. Außerdem kostet die Integration ja auch Geld. Das muss der Steuerzahler zahlen. Ich kann schon verstehen, dass da manche Ängste haben. Aber man muss von der anderen Seite widerum verlangen, dass sie sich sofort in der Arbeitswelt engagiert, um so schnell wie möglich auf eigenen Beinen zu stehen. Lange Jahre Sozialhilfe zu empfangen ist kein Ziel. Viele Syrer, die ich kenne, fragen aber nach, wo sie etwas tun können.

domradio.de: Haben Sie den Eindruck, dass die Menschen, die aktuell aus Syrien kommen, hier Fuß fassen, sich integrieren und ein neues Leben aufbauen wollen?

Aboudan: Sie wollen schon ein neues Leben aufbauen. Das Wort Integration kennen sie allerdings nicht. Aber sie haben in Syrien nebeneinander gelebt. In Damaskus und Aleppo sind Kirchen und Moscheen nebeneinander. Das ist gar kein Problem. Ich selbst bin in einem Bezirk groß geworden, in dem viele Juden lebten. Das war für uns Muslime gar kein Problem. Im Gegenteil: Als 1947 der Krieg gegen die Israelis (Israelischer Unabhängigkeitskrieg 1947-49, Anm.d.Red.) begonnen hat, hat mein Vater gesagt: Wenn du gegegen die Juden demonstrierst, bekommst du Ärger mit mir. Das durften wir nicht. Diese Haltung unter Syrern hat sich nicht verändert. Nur den Begriff Integration, den kennen sie nicht.

 

Das Interview führte Dr. Christian Schlegel.


Quelle:
DR

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