Susanna Filbinger-Riggert erzählt „Eine Vater-Tochter-Biografie“

„Kein weißes Blatt“

„Es ging eben nicht nur um seine Schuld, sondern an seinem Beispiel um die Schuld einer ganzen Generation“, schreibt Susanna Filbinger-Riggert über die Filbinger-Affäre von 1978. Ihr Vater Hans Filbinger musste damals als Ministerpräsident von Baden-Württemberg zurücktreten, als er mit Vorwürfen über seine Marinerichter-Tätigkeit in der NS-Zeit konfrontiert wurde. In ihrem autobiografischen Buch „Kein weißes Blatt. Eine Vater-Tochter-Biografie“ erzählt Filbinger-Riggert ihr Leben und gibt einen differenzierten Einblick in die Hintergründe der Filbinger-Affäre.

Susanna Filbinger-Riggert / © Mike Christian
Susanna Filbinger-Riggert / © Mike Christian

„Unser Elternhaus war sehr katholisch. Mein Vater hat uns Psalmen vorgelesen, und wir haben bei dreißig Grad schwere Marienstatuen durch die Kornfelder getragen.“ Susanna Filbinger-Riggert erzählt zunächst ihre Kindheit in einem frommen Elternhaus der fünfziger Jahre: „Das war für mich zu sehr ritualisiert, da fehlte der Geist und die Liebe“, sagt sie im domradio.de Interview. Als Jugendliche ist sie rebellisch und kommt schließlich in ein Internat der Benediktiner. Die Kirche wird ihr fremd und erst später, besonders nachdem sie Papst Johannes Paul II. persönlich begegnet, findet sie zum katholischen Glauben zurück.

Ihre Frage an den katholischen Vater Hans Filbinger: „Hätte er, gerade als überzeugter gläubiger Christ, nicht dem viel höheren Gesetz der Menschlichkeit folgen müssen? … Hätte er nicht als gläubiger Christ für die Angeklagten Gnade fordern müssen?“ Nächtelang diskutiert sie mit ihrem Vater – sie kann nicht verstehen, dass er nicht auf die Familien der Opfer zugeht und das Gespräch sucht. Heute sagt sie: „Mein Vater wurde so scharf attackiert, so vehement angegriffen, dass er sich in eine Wagenburg zurück zog. Er sagte, der Kontakt mit den Angehörigen der Opfer würde ihm als erzwungenes Schuldeingeständnis ausgelegt werden“.

Aus den Tagebucheintragungen, die seine Tochter nach seinem Tod fand, geht hervor, dass ihr Vater 1978 die Todesurteile, die er als Marinerichter unterschrieben hatte, nicht verschwiegen, sondern tatsächlich vergessen hat. Aber wie kann das passieren? Heute wissen wir, dass von Günter Grass bis Walter Jens eine ganze Generation verdrängt hat, dass sie als Mitläufer im NS-Krieg dabei war. Warum haben sich unsere Väter später nicht ihrer Verantwortung gestellt? Und warum wurden sie Mitläufer und andere, wenige scherten aus und leisteten Widerstand?

Filbinger-Riggerts Biografie ist alles andere als eine Abrechnung mit dem Vater, es ist vielmehr eine suchende, eine fragende Annäherung. Sie erzählt ihr Leben und sie erzählt das Leben ihres Vaters, der es, so sagt sie, nicht verdient habe auf seine Nazi-Vergangenheit reduziert zu werden. Ihr Buch ist ein wichtiger Beitrag zur differenzierten Vergangenheitsbewältigung in Deutschland, weil es versucht, uns von Klischees zu befreien, denn allzu lang wurde das Thema Erinnerung und Verdrängung von Politikern und Parteien für ihre politischen Zwecke instrumentalisiert.