Studierenden-Gruppen für "bildungspolitische Zeitenwende"

"Extremisten exmatrikulieren"

Ihnen reicht's: Mit scharfen Worten haben Vertretungen von Studierenden grassierenden Antisemitismus an Unis angeprangert. Sie sprechen von extremistischen Studierenden – und fordern die Möglichkeit der Exmatrikulation.

Symbolbild: Studierende im Hörsaal / © Matej Kastelic (shutterstock)
Symbolbild: Studierende im Hörsaal / © Matej Kastelic ( shutterstock )

Angesichts von Antisemitismus an Hochschulen in Deutschland haben Studierendenvertretungen eine "bildungspolitische Zeitenwende" gefordert. Es müsse damit eine "konsequente Politik gegen extremistische Strömungen innerhalb deutscher Universitäten" verbunden sein, erklärten der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) und die Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD) am Samstag in Berlin. 

"Hierbei muss es auch möglich sein, extremistische Studenten zu exmatrikulieren oder entsprechendes Personal zu entlassen." Insgesamt seien die jeweiligen Universitätsleitungen mit den Kultusministern gefragt.

Zeichen einer sterbenden Demokratie

"Ausschlüsse demokratischer Mitstreiter von Veranstaltungen, Gegendemonstrationen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen, sowie körperliche Angriffe auf jüdische Studenten prägen den Alltag des Diskurses an Universitäten", hieß es. Eine freie Debattenkultur lebe von Demokraten – "Antidemokraten, egal welcher politischen Gesinnung, zerstören diese". Es könne nicht sein, dass Universitäten zu "Orten der Legitimierung islamistischer Terrororganisationen" würden.

Gebäude der Freien Universität Berlin (shutterstock)
Gebäude der Freien Universität Berlin / ( shutterstock )

Der RCDS-Bundesvorsitzende Lukas Honemann sieht ein Zeichen einer sterbenden Demokratie, wenn man politische Mitbewerber als Feinde betrachte und alle institutionellen Mittel ausnutze, um ihnen zu schaden. "Wir erleben gerade Cancel-Culture statt Diskurs, Redeverbot statt Meinungsfreiheit." JSUD-Vizepräsident Noam Petri betonte, es handele sich um kein "jüdisches Partikularinteresse". 

"Diese Extremisten missbrauchen die Meinungsfreiheit, um ihre antisemitische und anti-westliche Propaganda zu verbreiten. Gegenstimmen werden pauschal als 'rechtsextrem' beleidigt oder gleich ausgeschlossen."

Turbulente Debatten und Kundgebungen

Zuletzt hatten Vorfälle vor allem an der Freien Universität (FU) und der Universität der Künste (UdK), beide in Berlin, für Aufsehen gesorgt. Hinzu kam der Angriff auf einen jüdischen FU-Studenten auf einer Straße in der Hauptstadt. Lehrende und Mitarbeitende der UdK hatten jüngst eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie sich gegen Antisemitismus stellen. 

Aber auch an anderen Universitäten in Deutschland war es nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober zu turbulenten Debatten, propalästinensischen Kundgebungen und auch Bedrohungen gekommen. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, mahnte, dass Hochschulen keine "No-go-Areas" sein dürften.

Hinzu kam ein Angriff auf einen jüdischen FU-Studenten auf einer Straße in Berlin-Mitte. Die FU erließ am Freitag ein Hausverbot gegen den Tatverdächtigen. Es gilt demnach für drei Monate auf dem Campus und kann verlängert werden. Laut Hochschule ist eine Exmatrikulation aus Ordnungsgründen nicht möglich. Es wurden zuletzt vermehrt Rufe laut, solche Regelungen zu verändern. 

Mutter des Angegriffenen sieht deutsches "Systemversagen"

Vor gut einer Woche war der Student mit Knochenbrüchen im Gesicht ins Krankenhaus gebracht worden. Ein propalästinensischer Kommilitone soll ihn geschlagen und getreten haben. Die Staatsanwaltschaft geht von einem antisemitischen Hintergrund aus. FU-Präsident Günter M. Ziegler hatte im Namen der Hochschule den Angriff verurteilt. 

Freie Universität Berlin / © Silvia Friedrich (shutterstock)
Freie Universität Berlin / © Silvia Friedrich ( shutterstock )

Die Mutter des Angegriffenen, Bruder von Satiriker Shahak Shapira, sagte der "Mitteldeutschen Zeitung" (Samstag), Ziegler und die Berliner Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) stünden exemplarisch für deutsches "Systemversagen" im Kampf gegen Antisemitismus. 

Czyborra sagte der "Jüdischen Allgemeinen" (Sonntag), dass aktuelle rechtliche Rahmenbedingungen möglicherweise nachjustiert werden müssten. 

Reform des Hochschulgesetzes könnte für neue Regeln nötig werden

"Das kann dann im Zweifel auch Exmatrikulation bedeuten. Hierzu habe ich mich ganz aktuell mit dem Regierenden Bürgermeister darauf verständigt, dass, wenn die derzeitigen rechtlichen Möglichkeiten nicht ausreichen, wir den Hochschulen zusätzliche durchgreifende Instrumente an die Hand geben." 

Das beinhalte auch eine mögliche Reform des Hochschulgesetzes. In den meisten Hochschulgesetzen seien die Schwellen für eine Exmatrikulation sehr hoch, erklärte die Senatorin. 

"Es muss eine Verurteilung vorliegen, und bis dahin ist es ein langer Prozess." Lehrende und Mitarbeitende der UdK hatten jüngst eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie sich gegen Antisemitismus stellen. UdK-Präsident Norbert Palz kritisierte jetzt im "Tagesspiegel" eine starke Polarisierung an seiner Hochschule.

Zentralrat der Juden

Der Zentralrat der Juden ist die Spitzenorganisation der jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik. Unter seinem Dach sind 23 Landesverbände mit 105 Gemeinden und ihren rund 100.000 Mitgliedern organisiert. Der Rat wurde 1950 in Frankfurt am Main gegründet. Damals lebten noch etwa 15.000 Juden in Deutschland. Vor dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust waren es bis zu 600.000.

Zentralrat der Juden in Deutschland vergibt Leo-Baeck-Preis / © Christian Ditsch (epd)
Zentralrat der Juden in Deutschland vergibt Leo-Baeck-Preis / © Christian Ditsch ( epd )
Quelle:
KNA