Studierende wollen Judenhass an Unis bekämpfen

"Cancel-Culture statt Diskurs"

Mit scharfen Worten haben Vertretungen von Studierenden grassierenden Antisemitismus an Unis angeprangert. Sie fordern die Möglichkeit der Exmatrikulation. Zuletzt hatten Vorfälle an zwei Hochschulen in Berlin für Aufsehen gesorgt.

Autor/in:
Leticia Witte
An der Freien Universität wurde ein jüdischer Student angegriffen / © Monika Skolimowska (dpa)
An der Freien Universität wurde ein jüdischer Student angegriffen / © Monika Skolimowska ( dpa )

Anti-israelische Demos, niedergebrüllte Veranstaltungen, Übergriffe: Angesichts von Antisemitismus auch an deutschen Hochschulen haben Studierendenvertretungen eine "bildungspolitische Zeitenwende" gefordert.

Es müsse damit eine "konsequente Politik gegen extremistische Strömungen innerhalb deutscher Universitäten" verbunden sein, erklärten der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) und die Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD) am Wochenende in Berlin. 

"Exmatrikulation muss möglich sein"

"Hierbei muss es auch möglich sein, extremistische Studenten zu exmatrikulieren oder entsprechendes Personal zu entlassen."

Weiter heißt es: "Ausschlüsse demokratischer Mitstreiter von Veranstaltungen, Gegendemonstrationen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen, sowie körperliche Angriffe auf jüdische Studenten prägen den Alltag des Diskurses an Universitäten."

Der RCDS-Bundesvorsitzende Lukas Honemann sieht ein Zeichen einer sterbenden Demokratie, wenn man politische Mitbewerber als Feinde betrachte und alle institutionellen Mittel ausnutze, um ihnen zu schaden. "Wir erleben gerade Cancel-Culture statt Diskurs, Redeverbot statt Meinungsfreiheit."

"Extremisten missbrauchen Meinungsfreiheit"

JSUD-Vizepräsident Noam Petri betonte, es handele sich um kein "jüdisches Partikularinteresse": "Diese Extremisten missbrauchen die Meinungsfreiheit, um ihre antisemitische und anti-westliche Propaganda zu verbreiten. Gegenstimmen werden pauschal als 'rechtsextrem' beleidigt oder gleich ausgeschlossen."

Zuletzt hatten Vorfälle an der Freien Universität (FU) und der Universität der Künste (UdK), beide in Berlin, für Aufsehen gesorgt. Aber auch andere Hochschulen waren nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober in den Schlagzeilen. 

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden / © Nicolas Armer (dpa)
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden / © Nicolas Armer ( dpa )

Studierende berichteten, sie trauten sich teilweise nicht mehr in die Unis. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hatte mehrfach gemahnt, dass Hochschulen keine "No-go-Areas" sein dürften.

Laut Hochschule ist Exmatrikulation nicht möglich

Hinzu kam ein Angriff auf einen jüdischen FU-Studenten auf einer Straße in Berlin-Mitte. Die FU erließ am Freitag ein Hausverbot gegen den Tatverdächtigen. Es gilt demnach für drei Monate auf dem Campus und kann verlängert werden. 

Laut Hochschule ist eine Exmatrikulation aus Ordnungsgründen nicht möglich. Es wurden zuletzt vermehrt Rufe laut, solche Regelungen zu verändern.

Vor gut einer Woche war der Student mit Knochenbrüchen im Gesicht ins Krankenhaus gebracht worden. Ein propalästinensischer Kommilitone soll ihn geschlagen und getreten haben. Die Staatsanwaltschaft geht von einem antisemitischen Hintergrund aus. FU-Präsident Günter M. Ziegler hatte im Namen der Hochschule den Angriff verurteilt.

Günter Matthias Ziegler, Professor und Präsident der Freien Universität Berlin / © Jörg Carstensen (dpa)
Günter Matthias Ziegler, Professor und Präsident der Freien Universität Berlin / © Jörg Carstensen ( dpa )


Die Mutter des Angegriffenen, Bruder von Satiriker Shahak Shapira, sagte der "Mitteldeutschen Zeitung" (Samstag), Ziegler und die Berliner Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) stünden exemplarisch für deutsches "Systemversagen" im Kampf gegen Antisemitismus.

Rahmenbedingungen nachjustieren

Czyborra sagte der "Jüdischen Allgemeinen" (Sonntag), dass aktuelle rechtliche Rahmenbedingungen möglicherweise nachjustiert werden müssten.

"Das kann dann im Zweifel auch Exmatrikulation bedeuten. Hierzu habe ich mich ganz aktuell mit dem Regierenden Bürgermeister darauf verständigt, dass, wenn die derzeitigen rechtlichen Möglichkeiten nicht ausreichen, wir den Hochschulen  zusätzliche durchgreifende Instrumente an die Hand geben." Das beinhalte auch eine mögliche Reform des Hochschulgesetzes.

In den meisten Hochschulgesetzen seien die Schwellen für eine Exmatrikulation sehr hoch, erklärte die Senatorin. "Es muss eine Verurteilung vorliegen, und bis dahin ist es ein langer Prozess."

Lehrende und Mitarbeitende der UdK hatten jüngst eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie sich gegen Antisemitismus stellen. UdK-Präsident Norbert Palz kritisierte jetzt im "Tagesspiegel" eine starke Polarisierung an seiner Hochschule.

Antisemitismus in Deutschland

Antisemitische und antiisraelische Straftaten nehmen in Deutschland wieder zu. Den Angaben der Bundesregierung zufolge wurden unter anderem 434 Fälle von Volksverhetzung, 15 Gewaltdelikte sowie 70 Fälle, die Sachbeschädigung betreffen, gezählt. Weitere Delikte betreffen etwa die Störung der Totenruhe oder Nötigung. Mehr als 90 Prozent der Straftaten wurden von deutschen Staatsangehörigen verübt. Von einer deutlich höheren Dunkelziffer ist auszugehen. 312 von 339 Tatverdächtigen waren Deutsche.

Kundgebung gegen Antisemitismus in Berlin / © Markus Nowak (KNA)
Kundgebung gegen Antisemitismus in Berlin / © Markus Nowak ( KNA )
Quelle:
KNA