Streit über Winterspiele im subtropischen Sotschi

Anwohner vertrieben, Natur vernichtet

Der russische Schwarzmeerkurort Sotschi empfängt 2014 Athleten aus aller Welt zu den Olympischen Winterspielen. Bis dahin muss noch viel getan werden.

Autor/in:
André Ballin
Sotschi 2014 (dpa)
Sotschi 2014 / ( dpa )

Der Ausbau der nötigen Infrastruktur wird vorangetrieben ohne Rücksicht auf Verluste: die Umwelt und die Bewohner leiden. Als glühend roter Feuerball versinkt die Abendsonne majestätisch im Schwarzen Meer. Am Strand der Imeritinskaja-Bucht von Sotschi kehrt Ruhe ein. Doch nur einen Kilometer von diesem Naturschauspiel entfernt ist von Beschaulichkeit keine Spur: Schwerlaster brettern über eine rumplige Straße, Bohrhämmer dröhnen bis spät in die Nacht. Bewohner und Touristen des Badekurorts sind geschockt. Doch die Menschen stören bei der Vorbereitung auf die Olympischen Winterspiele in Sotschi ohnehin nur. Rücksicht wird nicht geübt.

Rund 3.500 Menschen wohnen in der Imeritinskaja-Bucht von Sotschi. Seit Generationen schon bewirtschaften sie die fruchtbare Moorlandschaft, der Tourismus im Sommer verspricht einen schönen Nebenverdienst. Doch damit ist es bald vorbei. Die Menschen müssen weg. Sie müssen weichen für das Olympische Dorf und einen Olympischen Park.

Enteignung von Land
Der Olympische Park sei die Umschreibung für eine Reihe von Hotels und Restaurants, die kremlnahe Investoren dort aufbauen wollten, erläutert Alik Lej, einer der Aktivisten, der sich einer Zwangsumsiedlung widersetzt. Für ihre Grundstücke in Strandnähe sollen die Imeritinsker mit kleineren Parzellen weit weg vom Meer abgespeist werden. Dabei ist noch nicht einmal die Eigentumsfrage für den Boden geklärt, auf dem die neue Siedlung entstehen soll - offiziell gehört er einem türkischen Investor. Als die Bewohner bei einem Besuch des IOC-Komitees demonstrierten, wurden sie von Spezialeinheiten der Polizei verprügelt und auseinandergetrieben.

Gegen den Bau der Olympia-Objekte in der Bucht haben die Anwohner wirtschaftliche und ökologische Bedenken: Der Boden unter der Bucht ist morastig. Bis zu 60 Meter unter der Erde gibt es keinen festen Grund. Tonnenweise wird derzeit Beton aufgeschüttet. Vielerorts versinkt er spurlos im Moor. Mit ihm versickern auch Milliarden an Steuergeldern. «Für zwei Wochen etwas zu bauen, ist vielleicht kein Problem, aber was wird mit den Objekten nach den Olympischen Spielen», fragt Lej.

Profit wichtiger als Zugvögel
Zudem haben Zugvögel, darunter viele sehr seltene Arten, die Bucht seit Jahrhunderten als Zwischenlandeplatz auf dem Flug nach Norden oder Süden genutzt. Die UNESCO hat das Gebiet unter Schutz gestellt. Nun versuchen die Olympia-Bauer mit aller Macht die Moore trocken zu legen. Für die Vögel würden Ausweichreviere geschaffen, versprechen die Offiziellen - ab 2012. Dann wird es die Vögel vielleicht schon nicht mehr geben. Zudem ist unklar, ob sie die kleinen Inselchen, die ihnen inmitten der Betonwüste eingeräumt werden, als neuen Rastplatz anerkennen.

Doch auf Umweltschutz und Bevölkerung wurde in Russland trotz anderslautender Beteuerungen nie groß Rücksicht genommen. Die Olympischen Winterspiele im subtropischen Sotschi finden «um jeden Preis» statt, hat Ex-Präsident Wladimir Putin einst versprochen. Den Preis zahlen die Anwohner der Bucht. Bei schwerer Arbeit und schlechtem Lohn betrinken sich viele der billig angeworbenen Hilfsarbeiter auf der Baustelle. Nachts ziehen sie dann randalierend durch die Gärten. «Einem unserer Nachbarn haben sie dabei vor kurzem fast den Kopf eingeschlagen», berichtet Natalja Kalinowskaja, Leiterin der Bürgerinitiative «Psou». Die Polizei hat die Klage nicht angenommen.

Offiziellen Umfragen zufolge befürworten auch die Bewohner Sotschis die Winterspiele in ihrer Stadt. Doch hinter vorgehaltener Hand gibt es kaum noch jemanden im Schwarzmeer-Kurort, der die Olympischen Spiele angesichts der grassierenden Korruption positiv sieht.