Stratege erklärt schwierige Fusionierung im Erzbistum Köln

"Unterschiede der Pfarreien sehr deutlich"

Katholiken im Erzbistum Köln müssen sich auf die Zusammenlegung von Pfarreien einstellen: Alle Gemeinden sollen zu 67 Pastoralen Einheiten verschmelzen. Wie das gehen soll, erläutert Simon Schmidbauer, Bereichsleiter Strategie.

Simon Schmidbauer / © Robert Boecker (Kirchenzeitung Koeln)

DOMRADIO.DE: Die Zahl der Priester geht zurück, auch die der Hauptamtlichen in den Kirchen. Das Geld wird in den nächsten Jahrzehnten auch weniger. Im Erzbistum Köln sollen deshalb sogenannte pastorale Einheiten anstelle von klassischen Pfarreien entstehen. Was muss man sich darunter vorstellen?

Simon Schmidbauer (Bereichsleiter Strategie, Erzbistum Köln): Die pastoralen Einheiten waren zunächst einmal ein Schritt, um für das, was sie gerade beschrieben haben, eine neue Planungsgröße zu bekommen. Das heißt, wir haben erst mal nur einen geografischen Zuschnitt festgelegt in sogenannten pastoralen Einheiten, bestehend aus mehreren Seelsorgebereichen, wie das hier im Erzbistum Köln ja schon seit 20 Jahren heißt.

Schon seit 20 Jahren sind ja in Seelsorgebereichen verschiedene Pfarreien jeweils gemeinsam pastoral unterwegs. Und die jetzt zusammenzuführen hin zu mehr Kooperation, zu mehr gemeinsamen Überlegungen und dem Entwickeln von Pastoral und Verwaltung, war die Intention der Einrichtung der 67 pastoralen Einheiten.

Da standen bislang nur die regionalen Zuschnitte fest. Und jetzt geht es eben darum, wie es mit diesen 67 pastoralen Einheiten weitergeht.

DOMRADIO.DE: Das ist nicht ganz konfliktfrei gelaufen. Es gibt einen Streit, wie diese pastoralen Einheiten in Zukunft auch rechtlich aufgestellt werden sollen. Werden es Pfarreien, werden es Pfarreiengemeinschaften? Können Sie diesen Konflikt erklären?

Simon Schmidbaur

"Der Rückgang des hauptamtlichen Seelsorgepersonals, der finanziellen und auch sonstigen Möglichkeiten zwingen uns, uns anders zu organisieren."

Schmidbauer: Im Grunde ging es in der Diskussion immer darum, wie viel Eigenständigkeit und wie viel Kleinteiligkeit wir uns zukünftig noch leisten können. Da war immer die Frage damit verbunden, wie viel zentrale Vorgabe es geben kann und wie viel Entscheidungsfreiheit beziehungsweise Gestaltungsspielraum vor Ort verbleiben muss.

Dabei wurden aber auch immer wieder Themen miteinander vermischt, die wichtig sind zu unterscheiden.Denn der Rückgang des hauptamtlichen Seelsorgepersonals, der finanziellen und auch sonstigen Möglichkeiten, zwingen uns dazu, uns anders zu organisieren.

Eine zweite Frage ist dann, in welcher rechtlichen Struktur das passiert. Das heißt, die Diskussion ging im Grunde genommen dann vor allem darum: Wird das zentral vorgegeben? Wird das regional unterschiedlich entschieden? Und damit verbunden auch die Frage, wie viel Beheimatung Ehrenamtliche in den Strukturen vor Ort haben.

Da geht es darum, in den Diskussionen und in der weiteren Entwicklung gemeinsam zu entdecken, welche Gestaltungsspielräume jeweils in den Gemeinden vor Ort verbleiben, ganz unabhängig davon, welche Rechtsform dann diese pastorale Einheit erhält.

DOMRADIO.DE: Es gibt sehr unterschiedlich aufgestellte pastorale Einheiten im Bistum, wo es diese Woche zu einem Kompromiss von der Bistumsleitung gekommen ist. Können Sie den Kompromiss erklären und denken Sie, dass alle Seiten damit zufrieden sein werden?

Simon Schmidbaur

"Am Ende geht es darum, Gemeinden vor Ort zu stärken."

Schmidbauer: Alle Seiten zufriedenzustellen wäre ein hoher Anspruch. Was aber gelungen ist mit dieser Entscheidung, ist, beide Anliegen ernstzunehmen. Das heißt auf der einen Seite nicht die Augen davor zu verschließen, dass wir uns verändern müssen.

Das ist ja etwas, was Kirchensteuer- und Wirtschaftsrat deutlich gemacht haben: Wir können die Augen nicht davor verschließen, wie die Situation unserer Kirchensteuereinnahmen, unserer Personalentwicklung sich immer weiter zuspitzen. Wir können auch die Augen nicht vor unserer Verantwortung gegenüber den zukünftigen Generationen verschließen. Aber wir können auf der anderen Seite auch nicht einfach darüber hinweggehen, dass wir mit viel Ungleichzeitigkeit, mit einer großen Vielfalt im Erzbistum gesegnet sind.

Das war ja etwas, was dann der Diözesanpastoralrat auch in seinem Votum  deutlich gemacht hat. Beide Wirklichkeiten ernstzunehmen, wahrzunehmen, aufzunehmen – ich glaube, das ist die große Stärke dieser Entscheidung, die klarmacht, dass die größte Vereinfachung, die größte Verschlankung der Struktur ist, wenn die pastoralen Einheiten jeweils zu einer Pfarrei zusammengehen, innerhalb derer dann viele Gemeinden eigenständig und in großer eigener Verantwortung möglichst lebendig gestaltet werden können.

Aber wir sagen auch: Diese Vereinfachung der Strukturen, zumindest zu einem guten Teil, erreichen wir auch in dem Fall, dass nur die Kirchengemeinden auf der Ebene der bisherigen Seelsorgebereiche fusionieren und somit in den pastoralen Einheiten Pfarreien-Gemeinschaften gebildet werden, wo zumindest noch ein bisschen mehr Kleinteiligkeit und Regionalität auch möglich ist. Das betrifft die Rechtsträger-Struktur.

Das ist mir wichtig zu betonen, denn unabhängig von der Frage der Rechtsform geht es am Ende darum, Gemeinden vor Ort zu stärken, zu stützen, zu begleiten, ganz unabhängig davon, ob außenherum eine Pfarrei und eine Kirchengemeinde als "Hülle" fungieren oder eine Pfarreiengemeinschaft und ein Kirchengemeindeverband.

DOMRADIO.DE: Die große Vielfalt  mit großen und kleinen Pfarreien, Stadt und Land – lässt sich in einem so großen Erzbistum wie Köln ja gar nicht vermeiden. Wie schwierig war es denn da, einen gemeinsamen Weg zu finden? Vermutlich gab es einige, die wollten, dass es weiterläuft wie bisher.

Schmidbauer: Absolut richtig. Und das ist etwas, was da in dem vergangenen Jahr, in den vergangenen Monaten, in diesem Beratungsprozess sehr deutlich geworden ist. Wir können schon mit einem gewissen Selbstbewusstsein sagen, dass hier im Erzbistum Köln in den letzten Monaten der Raum für einen Beratungsprozess geöffnet wurde, der in dieser Offenheit in kaum einem anderen deutschen Bistum so geführt wurde. Viele andere Bistümer sagen sehr viel entschiedener: 'Wir brauchen eine Vereinfachung, eine Reduzierung, die wird zentral vorgegeben und umgesetzt.'

Wir haben uns hier bewusst die Zeit genommen, diese verschiedenen Perspektiven, diese unterschiedlichen Wahrnehmungen von Wirklichkeit, aufzunehmen. Aber das hat dann natürlich auch dazu geführt, dass in dieser Diskussion die Unterschiede sehr, sehr deutlich zutage getreten sind.

Und das wird dann deutlich in den entgegengesetzten Voten, die am Ende der Kirchensteuer- und Wirtschaftsrat auf der einen Seite und der Diözesanpastoralrat auf der anderen Seite abgegeben haben. Aber das ist auch Ausdruck von unserer Kirche heute, dass wir diese Spannung aushalten müssen und dass dann die Kunst darin besteht, einen Weg zu finden, der eben nicht einfach das eine vom Tisch nimmt und nur das andere ernstnimmt, sondern der Versuch, diese Spannung auszuhalten, auszugleichen und einen guten Weg zu finden.

Ich bin sehr, sehr zuversichtlich. Und die ersten Gespräche und Rückmeldungen machen mich da auch ganz zuversichtlich, dass anerkannt wird, dass diese Entscheidung Ausdruck eines Ringens ist und nicht einfach nur einer sturen Vorgabe. Aber eben auch, dass die Vorgabe ernstgenommen wird, dass wir uns verändern müssen.

DOMRADIO.DE: Sie sind relativ neu im Erzbistum Köln. Sie haben für die Kirche in Österreich gearbeitet, waren auch als Unternehmensberater aktiv. Wenn Sie sich diese Konfliktsituation hier angucken, wie ist das zu vergleichen? Die Erzdiözese Wien ist ja auch eine bedeutende Erzdiözese im deutschsprachigen Raum, auch mit einer relativ großen Verwaltungsstruktur. Sind das überall die gleichen Kämpfe, die da ausgefochten werden?

Simon Schmidbaur

"Manchmal ist es dieser sprichwörtliche diplomatische Tanz ..."

Schmidbauer: Manchmal das Temperament unterschiedlich. In Österreich werden vielleicht manchmal die Lösungen anders gefunden. Oder es wird nicht in dieser Offenheit diskutiert, das ist manchmal eher dieser sprichwörtliche diplomatische Tanz. Aber im Kern erleben wir ja im Westen, im deutschsprachigen Raum, überall dieselben Fragen. Und es ist überall ein gleiches Ringen.

Und ich habe nirgendwo, auch nicht in meiner Zeit als Unternehmensberater, andere Wege gefunden, die irgendwie erfolgsversprechend waren, als die, gemeinsam im Gespräch zu bleiben, gemeinsam zu ringen und zu suchen und auch offen aufeinander zuzugehen.

Auch den Kritikern zuzuhören, auf die zuzugehen und damit einer großen Offenheit einander zu begegnen und so doch auch manchmal mühsame nächste Schritte zu finden. Und das ist das, was wir jetzt auch hier versuchen. Da bin ich ganz zuversichtlich, dass es uns in diesem Stil auch hier weiter gelingt.

DOMRADIO.DE: Der Prozess ist jetzt angesetzt bis 2032, also noch neun Jahre. Wenn wir ins nächste Jahrzehnt gucken, wann sind Sie zufrieden? Wann sagen Sie, das hat funktioniert?

Schmidbauer: Ich glaube, unsere Kirche lebt auch von der Lebendigkeit, von der Unterschiedlichkeit. Und das drückt sich dann auch immer wieder in dem Ringen aus, in dem Suchen. Dementsprechend werden da auch Konflikte nicht ausbleiben. Ich bin dann zufrieden, wenn ich das Gefühl habe, dass die Überlegungen, die Angebote, die Gespräche, wirklich auf eine große Offenheit stoßen und dass wir da in einen echten Austausch kommen.

Für den erste Meilenstein wird die Zeit bis zum Sommer 2025 da sein, wo wir sagen, da ist eine ganz wichtige Wegmarke, wo wir auch für jede pastorale Einheit und mit jeder pastoralen Einheit den Weg in die Zukunft vereinbaren können. Das heißt, es ist auch eine bewusste Entscheidung zu sagen, wir nehmen uns jetzt kommendes Jahr auf Basis dieser Entscheidung die Zeit, um mit jeder pastoralen Einheit, mit den Engagierten und Verantwortlichen vor Ort, ins Gespräch zu gehen und nach einem guten Weg nach vorne zu suchen.

Ich bin dann zufrieden, wenn wir bis zum Sommer 2025 in allen pastoralen Einheiten mehrfach das Gespräch direkt vor Ort hatten. Wenn wir über verschiedene Veranstaltungen und Angebote da den Austausch gefördert haben und dann auf dieser Basis informierte Beratungen und Entscheidungen stattfinden.

Und dann sollen vor Ort auch die Entscheidungen und die Lösungen gewählt werden, die vor Ort dienlich sind und auch in die Zukunft tragen und nicht das Modell, das ich persönlich vielleicht präferiere, sondern da geht es darum, was dient vor Ort und was trägt vor Ort.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Das Erzbistum Köln

Ende 2021 gehörten 1.805.430 Katholiken zum Erzbistum Köln. Das sind 63.137 weniger als im Jahr davor. Der Rückgang setzt sich im Vergleich zum Corona-Jahr 2020 zusammen aus 40.772 Kirchenaustritten (2020: 17.281) sowie der Differenz zwischen den Sterbefällen (27.503) und den Taufen (10.286), die gegenüber 2020 (7.845) angestiegen sind. 

Blick auf den Kölner Dom / © Harald Oppitz (KNA)
Blick auf den Kölner Dom / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR