Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien beendet Arbeit

"Nicht ungestraft davongekommen"

Es endete mit einem Schock: In der letzten Verhandlung begeht ein Angeklagter Selbstmord. Nach 24 Jahren wird der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien geschlossen. Was hat das Tribunal erreichen können?

"Srebrenica: UN-Tribunal fällt Urteil über Ex-General Mladic" / © Amel Emric (dpa)
"Srebrenica: UN-Tribunal fällt Urteil über Ex-General Mladic" / © Amel Emric ( dpa )

domradio.de: Es gab vor dem Tribunal Mammutprozesse gegen große Kriegstreiber wie den serbischen Ex-Präsidenten Slobodan Milošević, den bosnischen Serben-Kopf Radovan Karadžić oder den General der bosnischen Serben, Ratko Mladić, der erst vor wenigen Tagen wegen Völkermords zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden ist. Ist die Arbeit des Gerichtshofs nun zu Ende und kann deshalb zumachen?

Stefan Schneider (Internationaler Christlicher Friedensdienst Eirene): Ich glaube, es hilft, wenn man den internationalen Gerichtshof in die politischen Entwicklungen einbettet, vor allem die der 1990er Jahre. Die beinhalten, dass Strafgerichtsbarkeit keine Grenzen mehr kennt, dass Menschenrechte auch dort verteidigt werden, wo Gerichtsbarkeit nicht gegeben ist. Dass der ICTY (Anm. d. Red.: Internationaler Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien) heute zumacht, ist in Ordnung. Man muss natürlich betrachten, was er leisten konnte und was nicht. Es war ein ganz großer Verdienst, dass Verantwortliche relativ schnell vor Gerichte gestellt werden konnten – das hat in anderen Gesellschaften nach Kriegen Jahrzehnte gebraucht. Außerdem konnten die Opfer bereits in den 1990ern und 2000er Jahren nach Den Haag gehen, um ihre Version der Geschichte zu erzählen.

domradio.de: 161 Personen sind angeklagt worden – 80 letztlich verurteilt – was ist das in Ihren Augen für eine Bilanz?

Schneider: Das sind immer Einzelfälle, die man einzeln betrachten musste. Man sieht da natürlich, dass es – besonders in einem Bürgerkrieg – viele Arten von Schuld gibt. Nicht jede Art von Schuld lässt sich durch ein Strafgericht feststellen und adäquat behandeln. Da möchte ich das Beispiel von Vojislav Šešelj geben. Der hat Anfang der 1990er Jahre in Serbien die Serbische Radikale Partei gegründet und war zu der Zeit eine radikalere Stimme als Slobodan Milošević. Er hat damals viel zur Vergiftung des Klimas beigetragen und quasi die Worte geliefert, denen später Taten folgen mussten. Er stand lange vor dem ICTY-Gerichtshof, ist aber 2014 aus gesundheitlichen Gründen – das war damals die Begründung – freigelassen worden. Ich war zu der Zeit in Belgrad und konnte sehen, wie er sich in der Fußgängerzone der Belgrader Innenstadt von seinen Fans hat feiern lassen.

Ich konnte es nicht glauben. Er war nach Hause geschickt worden, damit er sich von seiner Krankheit kuriert, stand dann aber dort auf einer Bühne, sich bester Gesundheit erfreuend, vor einem Meer von Leuten in jugoslawischen Uniformen mit serbischen Fahnen und seinem Foto – es wirkte wie eine große Party. Und obwohl man denken könnte, auch die Serben haben so unter dem Krieg gelitten, hat es den anderen Teil der Menschen, die an diesem Tag in der Fußgängerzone waren, nicht interessiert – es gab keine Gegenproteste.

Und das ist eben der Punkt, dass die Gerichtshöfe sehr weit weg sind von den Ländern, die diesen Bürgerkrieg erlebt haben. Wir führen diese Prozesse als westliche Welt, um zu zeigen, dass die Menschen nicht ungestraft davonkommen und das ist natürlich etwas wert. Aber gleichzeitig darf man nicht vergessen, dass die Idee von Neutralität und einem neutralen Gerichtsspruch und einer Wahrheit in Bürgerkriegsländern auch noch Jahre danach kaum durchzusetzen ist.

domradio.de: Ist das das einzige Manko eines solchen Gerichtshofes?

Schneider: Es ist natürlich einerseits gut, dass Verbrechen bestraft werden und dass Leute, die Massaker verschuldet haben, dafür die gerechte Strafe bekommen. Aber Frieden und Versöhnung sind natürlich die Punkte, auf die es ankommt. Dass in Ländern von Bürgerkriegen, die sich danach aufgeteilt haben, ein Friedensprozess beginnt und die Wunden verheilen. 

domradio.de: Wie unterstützt ihre Organisation Eirene den Friedensprozess und das Wundenheilen?

Schneider: Konkret haben wir einen Friedensdienst, das heißt lokale Partner in verschiedenen Ländern – in Afrika und Lateinamerika. Dort schicken wir dann Leute aus Deutschland hin, damit die gemeinschaftlich in Partnerprojekten arbeiten. Da geht es um Bildung, um ökonomische Sicherheit, um Frauen- und Menschenrechte, aber auch um Versöhnungs- und Kommunikationsarbeit. 

domradio.de: Was für eine Rolle spielt dabei der Glaube?

Schneider: Der Glaube ist ganz wichtig, weil Spiritualität eine ganz starke Kraftressource ist. Das heißt Menschen, die einen tiefen Glauben in sich tragen, sind sehr gut gewappnet, sich solch schwierigen Situationen zu stellen. Das Wichtige ist dabei, dass der Glaube etwas Ökumenisches hat, dass man die Offenheit hat, auch Menschen anderen Glaubens, offen gegenüber zu treten und dass die Überzeugung von Menschlichkeit einen dazu befähigt, mit diesen Menschen zu kommunizieren, sie zu verstehen, Empathie aufzubauen und dann gemeinsam Ziele zu erreichen.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR

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