Buchautorin über die Botschaft der Bäume

"Stille Begleiter durchs Leben"

Rund 90 Milliarden Bäume gibt es laut Bundeswaldinventur in Deutschland. Die Berliner Autorin Caroline Ring hat ein Buch über 18 besondere Stadtbäume und ihre Geschichte geschrieben. Im Interview spricht sie darüber, warum wir uns mit ihnen verbunden fühlen.

Licht bricht sich in den Blättern eines Baumes (shutterstock)
Licht bricht sich in den Blättern eines Baumes / ( shutterstock )

KNA: Frau Ring, wie kamen Sie auf die Idee, einzelne Bäume in Städten zu besuchen und ihre Geschichte vorzustellen?

Caroline Ring (Schriftstellerin in Berlin): Wenn man an besonders schöne Bäume denkt, befinden sie sich oft fernab, auf dem Land und sind schlecht zu erreichen. Dabei gibt es auch in Städten zahlreiche Exemplare, die eine besondere Geschichte haben. Aber sie sind über den lokalen Radius hinaus kaum bekannt. Das wollte ich ändern.

KNA: Nach welchen Kriterien haben Sie die 18 Bäume ausgewählt?

Ring: Es ging mir nicht um Parameter wie Alter, Höhe oder Stammumfang. Wenn man sich nur auf das Alter konzentriert, landet man in Deutschland immer nur bei Eichen und Linden. Dabei gibt es bei uns noch viele andere tolle Arten, die oft auch etwas mit unserer Geschichte zu tun haben.

KNA: Inwiefern sind Bäume "Botschafter des Lebens", wie der Buchtitel heißt?

Ring: Mir ist aufgefallen, dass die Geschichten, die es über Bäume gibt, nicht nur von Bäumen handeln, sondern von Bäumen und Menschen. Bäume begleiten das Leben von Menschen, auch wenn man das gar nicht so wahrnimmt. Sie sind nicht so aktiv wie Tiere, dennoch sind sie einfach da, meist ganz in unserer Nähe.

Gerade in Städten werden Bäume oft kaum wahrgenommen; Menschen laufen oft achtlos an ihnen vorbei, weil sie in Gedanken ihrem Alltag nachgehen. Dennoch gibt es immer wieder Berührungspunkte, aus denen sich spannende Geschichten entwickeln.

KNA: Etwa die Kunstaktion "7.000 Eichen" von Joseph Beuys 1982 für die documenta in Kassel...

Ring: Heute denkt man vielleicht, das war nur ein Aufforstungsprojekt, um die Stadt ein bisschen grüner zu machen. Damals war das sehr außergewöhnlich und hat anfangs großen Widerstand erzeugt. Dabei hat sich Beuys damals viele Gedanken gemacht. Mittlerweile sind die Bäume akzeptiert, und sie werden von den Bürgern gehegt und gepflegt.

KNA: Warum bauen Menschen offenbar auch emotionale Beziehungen zu Bäumen auf?

Ring: Bäume sind Träger von Erinnerungen. Man verknüpft ganz viel damit, was man bei ihnen erlebte - unbeschwerte Kindertage, den ersten Kuss, den Abschied von einem Haustier. Vor allem alte Bäume verändern sich äußerlich wenig, während man sich selbst weiterentwickelt und die Jahre ins Land gehen. Ein alter Baum, der die Zeit zu überdauern scheint, ist wie ein Anker in der Biografie.

Aber es berührt auch zu sehen, wie schnell junge Bäume wachsen. Neulich bin ich in einer Gegend gewesen, in der ich seit meiner Kindheit nicht mehr wahr. Ich war total verblüfft, dass die kleinen Setzlinge, die dort einst standen, inzwischen zu stattlichen Bäumen herangewachsen sind. Das hat mir vor Augen geführt, wie viel Zeit vergangen ist - und dass auch ich mich verändert habe.

KNA: Kann es auch an einem Resonanzgefühl liegen, dass wir uns von Bäumen angezogen fühlen? Finden wir uns in diesem ganz anderen Lebewesen ein Stück weit wieder?

Ring: Ein Baum spiegelt das Leben wider - Wachstum und Fülle, aber auch Abschied und Vergehen. So unterschiedlich wir als Lebewesen sind, so eint uns doch dieses gemeinsame Schicksal. Andererseits führen Bäume als Pflanzen in einem entscheidenden Punkt ein ganz anderes Leben als Menschen und Tiere: Sie bleiben Zeit ihres Lebens an einem Ort verwurzelt. Sie können nicht den Ort wechseln, wenn ihnen etwas nicht passt. Sie müssen sich mit den Gegebenheiten abfinden und arrangieren. Deshalb kann es auch reizvoll sein, sich zu überlegen, wie es wäre, wenn man selbst diese Haltung eines Baums einnehmen würde.

KNA: Schon Sängerin Alexandra trauerte in den 1960er Jahren in dem Lied "Mein Freund, der Baum" um einen gefällten Baum. Heute gibt es vermehrt Proteste von Anwohnern, wenn Fällungen anstehen. Gibt es einen Bewusstseinswandel?

Ring: Ja, absolut. In den letzten Jahrzehnten wird der Wert von Grün in der Stadt viel höher bewertet als früher. Es sind nicht nur schöne Erinnerungen an Naturerlebnisse, die bei einer Fällung vernichtet werden; vielen Menschen ist inzwischen der ökologische Wert von Bäumen bewusst. Es dauert sehr lange, bis ein Baum groß und alt ist und wieder so viel Kohlendioxid speichern kann wie sein gefällter Vorgänger.

KNA: Haben Sie einen Lieblingsbaum?

Ring: Bei meiner Buchrecherche hat mich vor allem die urige Süntelbuche in Hannover beeindruckt - ein verwunschen wirkender Baum, von dem ich nicht geglaubt hätte, dass es so etwas bei uns in Deutschland noch gibt. Durch eine genetische Mutation wächst sie extrem verschnörkelt und wirkt wie einem Märchenwald entsprungen. Auch der Ginkgo in Frankfurt oder die Mammutbäume in Stuttgart haben mich beeindruckt.

Mein Blick für Bäume hat sich durch die Recherche geschärft. Auch in meiner Umgebung sehe ich nun immer öfter schöne und interessante Bäume. Man findet sie oft schon vor der Haustür, wenn man nur die Augen aufmacht.

Von Angelika Prauß


Quelle:
KNA
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