Stichwort: Spätabtreibungen

800 Fälle pro Jahr in Deutschland?

Spätabtreibungen heißen Abbrüche in einer Phase, in der das ungeborene Kind außerhalb des Mutterleibes lebensfähig wäre. Derzeit wird diese Grenze in der 23. Schwangerschaftswoche angenommen. Nach offiziellen Angaben gab es 2005 in Deutschland 171 Spätabtreibungen.

 (DR)

Spätabtreibungen heißen Abbrüche in einer Phase, in der das ungeborene Kind außerhalb des Mutterleibes lebensfähig wäre. Derzeit wird diese Grenze in der 23. Schwangerschaftswoche angenommen. Nach offiziellen Angaben gab es 2005 in Deutschland 171 Spätabtreibungen. Experten rechnen mit einer weit höheren Dunkelziffer; die Rede ist immer wieder von rund 800 Fällen.

Über die Problematik von Abbrüchen ohne zeitliche Begrenzung bis hin zum Geburtstermin wurde lange geschwiegen. Mit der Reform von
1995 schaffte der Gesetzgeber die eugenische Indikation ab, nach der ein behinderter Fötus bis zur 22. Woche abgetrieben werden durfte. Nicht die Behinderung, sondern die Gefährdung von Leben und Gesundheit der Schwangeren gilt nach der neu eingeführten sozial-medizinischen Indikation als Grund einer straffreien Abtreibung.

Berücksichtigt werden können bei der Indikation auch "die Gefahr einer schwer wiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes" der Schwangeren und deren "gegenwärtige und zukünftige Lebensverhältnisse". Diese weiche Formulierung führte nach Meinung von Kritikern häufig zu Missbrauch, da so etwa mit Blick auf eine Behinderung jeder Abbruch gerechtfertigt werden kann. Problematisch ist darüber hinaus, dass nach dieser Indikation ein Abbruch praktisch bis zur Geburt durchgeführt werden kann. Das führte in mehreren Fällen dazu, dass das Kind die Abtreibung überlebte.

Quer durch alle Parteien gibt es Unbehagen an dieser Praxis. Auch Kirchen und Ärzteverbände haben immer wieder eine Änderung der Gesetze gefordert. Das scheiterte aber daran, dass insbesondere SPD, FDP und Grüne die nach langem Streit verabschiedeten Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch nicht neu aufschnüren wollen. Bereits
2003 hatte die Union einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der die Zahl der Spätabtreibungen deutlich senken sollte. Es geht dabei im Kern um eine verbindliche psycho-soziale Beratung im Zusammenhang mit vorgeburtlicher Diagnostik und um eine Überprüfung der ärztlichen Haftungspflicht.
(KNA)