Steuerhinterziehungen: Kirche und Politik appellieren an die Moral

Selbstreinigung gefordert

Angesichts der Steuerermittlungen gegen den zurückgetretenen Postchef Klaus Zumwinkel und eine noch unbekannte Zahl weiterer Millionäre sehen Politiker und Gewerkschaften die moralischen Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft in Gefahr. SPD-Chef Beck sprach von einem neuen Fall unglaublicher Gier. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos forderte die Wirtschaftselite auf, sich ihrer Vorbildfunktion für die Gesellschaft bewusst zu werden. Der neue Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch, forderte ein hartes Durchgreifen.

 (DR)

Der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, sagte, bei den Menschen greife ein Gefühl tief empfundener Ungerechtigkeit um sich. Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Ludwig Georg Braun, warnte vor genereller Managerschelte.

Zumwinkel hatte am Freitag wegen Ermittlungen gegen ihn sein Amt als Post-Chef zur Verfügung gestellt. Der 64-Jährige steht im Verdacht, mittels Geldanlagen in liechtensteinische Stiftungen Steuern in einer Größenordnung von rund einer Million Euro hinterzogen zu haben. Nach Angaben der Bochumer Staatsanwaltschaft wird gegen mehrere Hundert Personen wegen Steuerhinterziehung ermittelt.

"Da bleibt einem die Spucke weg."
Beck sagte: "Da bleibt einem die Spucke weg." Es werde gegen Leute ermittelt, die Millionen verdienen, aber "den Rachen offenbar noch
immer nicht vollkriegen". "Ich erwarte jetzt von der Justiz, dass kein Deal gemacht wird. Das widerspricht jeglichem Gerechtigkeitsempfinden", sagte Beck.

Glos mahnte, die Wirtschaft müsse ihre Selbstreinigungskräfte mobilisieren. Andernfalls werde die soziale Marktwirtschaft unglaubwürdig. "Dann würde unser Land zum Übernahmekandidaten für die Linke", warnte der Minister.

Zollitsch forderte: "Wer Steuern in Millionenhöhe hinterzieht oder solche Summen veruntreut, muss zur Rechenschaft gezogen werden." Ein solches Verhalten dürfe keinesfalls als Kavaliersdelikt durchgehen. Nicht nur Eigentum, sondern auch Kapital verpflichte. Es gelte, das öffentliche Bewusstsein dafür zu schärfen, was sich gehöre und was nicht. Nur dann werde es weniger Fälle wie den Zumwinkels geben.

Bsirske kritisierte: "Die Rhetorik der Oberen in den Führungsetagen der Unternehmen passt überhaupt nicht dazu, wie sie sich selbst verhalten. Sie predigen Verzicht für andere und stopfen sich selbst die Taschen voll." Der Fall Zumwinkel sei moralisch ein Problem für die gesamte Gesellschaft und erschüttere die Glaubwürdigkeit des Wirtschaftsstandorts und der wichtigsten Manager. Der Selbstbedienungsmentalität müssten Grenzen gesetzt werden.

Rufe nach mehr Transparenz
DGB-Vorstandsmitglied Dietmar Hexel forderte schärfere
Offenlegungsvorschriften für Managerbezüge. "Wir brauchen eine weitergehende Transparenz bei den Managergehältern", sagte er. Wenn Manager nicht mehr Vorbild seien, gebe es ein gesellschaftliches Problem. "Ich sehe einen neuen Managerfeudalismus, in dem sich eine bestimmte Managergruppe völlig von dem Leben der normalen Menschen abkoppelt", sagte Hexel.

Braun sagte, er verstehe gut, warum Bürger bei Gehältern und Verhaltensweisen einzelner Manager den Kopf schüttelten. Dies ärgere ihn auch persönlich, weil es das Ansehen der Unternehmer insgesamt schädige. "Das aber zu Unrecht: Denn nicht nur die große Mehrheit der zigtausend Familienunternehmer, sondern auch der Manager engagiert sich gemeinsam mit Mitarbeitern für den Unternehmenserfolg", sagte der DIHK-Präsident.

Ethische Standards
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, Norbert Röttgen (CDU) sagte, es helfe nicht, dem Reflex zu folgen, aus Einzelverhalten Kollektivverurteilungen abzuleiten. Der Fall Zumwinkel beweise zudem, dass die staatlichen Institutionen funktionieren. Es zeige sich, dass vor dem Recht alle gleich sind, unabhängig vom Geldbeutel.

Der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, warnte vor einem schleichenden Verlust an Vertrauen in die Eliten. Die aktuellen Fälle belasteten die öffentlichen Debatte um notwendige Reformen. "Die Wirtschaft tut gut daran, sich von solchem Fehlverhalten deutlich zu distanzieren. Ethische Standards - vor allem Verantwortung - müssen glaubwürdig gelebt werden", verlangte er.