Steht Söders Kreuzerlass auf der Kippe?

"Das Kreuz ist nichts Ungehöriges, sondern Normalität"

Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet über eine Klage gegen Markus Söders "Kreuzerlass". Seit 2018 müssen in öffentlichen Gebäuden Kreuze hängen. Theologe Wolfgang Vogl erklärt, warum das Kreuz zur DNA Bayerns gehört.

Autor/in:
Elena Hong
Ein Kreuz an einer Wand / © Julia Steinbrecht (KNA)
Ein Kreuz an einer Wand / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Gespannt wird auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gewartet. In Bayern leben Atheisten, Juden, Muslime, Buddhisten, Mitglieder vieler anderer Religionen. Ist da ein christliches Symbol noch zeitgemäß? 

Wolfgang Vogl (Katholischer Professor für die "Theologie des geistlichen Lebens" an der Uni Augsburg): Bayern ist ein Land, das verfassungsgemäß seit 1946 ausdrücklich den Gottesbezug aufgenommen hat und sich seiner christlichen Wurzeln sehr bewusst ist. Das muss auch gepflegt werden. Gerade das ist auch in diesem Kreuzeserlass zum Ausdruck gekommen. 

Ich erinnere an die Präambel, wo es heißt, dass ein Staat ohne Gott zu einem Trümmerfeld geführt hat, gemeint ist der Zweite Weltkrieg - ohne Gewissen und Menschenwürde. Der Artikel 131 gebietet Toleranz gegenüber der Ehrfurcht vor Gott. Und damit ist eigentlich die christliche Leitkultur verfassungsgemäß ausgedrückt. 

Für mich ist entscheidend Wenn ich einen abstrakten Gottesbezug in einer Verfassung habe, ergibt sich folgerichtig auch das konkrete, sichtbare Symbol dieses Gottesbezuges ist das Kreuz. Dieser Kreuzerlass von 2018, war ja keine Neuerung, es war ja vorher schon so, dass weitgehend in Gerichten, Schulen und Behörden das Kreuz hing. 

Man könnte also sagen, dieser Erlass von 2018 war nur ein "Kreuz-Ergänzungserlass", dass dort, wo noch keine Kreuze waren, bisher auch dieses Symbol nun sichtbar werden soll. 

DOMRADIO.DE: Im Grundgesetz steht ja auch, dass in Deutschland Religionsfreiheit herrscht. Der Staat selbst ist aber ganz klar nicht religiös neutral. Und auch in anderen Ländern kann ein zu nahes Verhältnis von Religion und Staat diese Neutralität gefährden. Ist da nicht was dran? 

Wolfgang Vogl

"Das Sichtbare als Symbol eine logische Folge [des], gewollten Gottesbezuges"

Vogl: Dazu müsste man genau sagen, wie sich der Staat Bayern versteht. Religionstoleranz, Achtung gegenüber religiösen Bezeugungen ist ja eindeutig. Aber es ist eben auch dieses Gottesbild verankert und zwar ganz bewusst. Also man müsste sich dann dagegen entscheiden, wenn man das will. Aber solange es in der bayerischen Verfassung gewollt ist, ist für mich das Sichtbare als Symbol eine logische Folge von diesem abstrakten, gewollten Gottesbezug. 

DOMRADIO.DE: Viel steht und fällt ja auch damit, wie dieses Kreuz interpretiert wird. Es gab diese Diskussion schon mal vor knapp 30 Jahren und damals gab es das Argument, die Partei, die das Christliche für sich reklamiert, reduziere das Kreuz auf ein symbolisches Ornament. Als was würden Sie das Kreuz verstehen?

Vogl: Also das Kreuz ist natürlich ein Gegenstand der Verehrung. Kreuze werden ja auch geweiht. Aber Kreuze sind auch Symbole. Bei einem Gipfelkreuz beispielsweise kann nicht von einer Kreuzverehrung gesprochen werden, das ist ein Sinnbild und ein Symbol. Darum würde ich sagen, das Kreuz ist tatsächlich auch ein Symbol neben dem anderen großen Aspekt, dass es ein Gegenstand der Verehrung ist. 

Ich möchte nur daran erinnern, dass seit 1949 im Bayerischen Landtag an zentraler Stelle im Treppenhaus ein monumentales spätgotische Kreuz um 1520, ganz bewusst dort angebracht wurde als ein Symbol. Und ich sehe das Symbolhafte vor allem darin: Wenn ein Kreuz in der Behörde erscheint, dann setzt sich der Richter, der Lehrer selbst nicht absolut als letzte Instanz. Durch das Kreuz wird ausgedrückt "Ich bin nicht die letzte Instanz, ich bin nur ein Mensch, über mir steht Gott als Richter, ich verantworte mich gegenüber Gott, der mein Richter sein wird". Für mich ist es etwas sehr Trostvolles, wenn ich mit dem Staat konfrontiert werde.

DOMRADIO.DE: Aber das würden ja zum Beispiel auch Symbole von anderen Religionsgemeinschaften ausdrücken. Die müsste man dann eigentlich auch öffentlich ausstellen. 

Wolfgang Vogl

"Der Verfassungswille ist gegeben."

Vogl: Und genau das ist der Punkt, der geklärt werden muss. Also ein Staat hat die Möglichkeit, eine Leitkultur vorzugeben. Und hier muss man schauen, wie man das dann auch verfassungsrechtlich alles unter einen Hut bringt. Aber dieser Verfassungswille ist gegeben und der besteht. 

DOMRADIO.DE: Der Bund für Geistesfreiheit will die Rücknahme des Kreuzerlasses, darüber wird in Leipzig verhandelt. Die Klage vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, die wurde ja im vergangenen Jahr schon abgewiesen. Sehen Sie da eine Chance für die Klage? 

Vogl: Wenn man vom Bund her argumentiert, könnte man auch sagen, dass die bundesdeutsche Verfassung auch den Gottesbezug in der Präambel stehen hat. Hier heißt es "als Verantwortung vor Gott und den Menschen". Das ist also im Grunde dasselbe, das wir auch in der bayerischen Verfassung haben. 

Wer die Situation in Bayern kennt und die Mentalität kennt, wird sagen, das Kreuz ist nichts Fremdes oder Ungehöriges, sondern das ist das Normale, das was uns vertraut ist. Wenn ich zum Beispiel von meinem Wohnort im Landkreis Eichstätt sieben Kilometer in den nächsten Vorort fahre, dann zähle ich zwölf Kreuze am Wegrand. Das ist Realität und Normalität. Und das sollten wir uns in Bayern nicht wegnehmen lassen. 

Das Interview führte Elena Hong.

Bundesverwaltungsgericht verhandelt über bayerischen Kreuzerlass

Der umstrittene Kreuzerlass von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) steht am Donnerstag beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig auf dem Prüfstand. Der 10. Senat verhandelt über die Vorschrift, laut der seit 2018 in jedem staatlichen Gebäude in Bayern ein Kreuz hängen muss. Der religionskritische Bund für Geistesfreiheit (bfg) hatte gegen die Regelung geklagt - und im Sommer vorigen Jahres vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) eine Niederlage kassiert.

Mit dem Kreuzerlass in der Kritik: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder / © Peter Kneffel (dpa)
Mit dem Kreuzerlass in der Kritik: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder / © Peter Kneffel ( dpa )
Quelle:
DR