St. Antonius am Tag der Autobahnkirchen

Seelenrast auf dem Weg ans Meer

Autobahnkirchen und -kapellen gibt es in Deutschland seit 1958. Inzwischen sind es bundesweit 33 sowohl katholische als auch evangelische oder ökumenische. Etliche wurden speziell für diesen Zweck gebaut. Nicht St. Antonius - der Ort, an dem am Sonntag der Tag der Autobahnkirchen offiziell gefeiert wurde.

Autor/in:
Christoph Boll
 (DR)

Rund 200 Meter entfernt tobt höllischer Verkehrslärm, rasen die Fahrzeuge über die Autobahn 31, den sogenannten "Friesenspieß". Doch als die schwere Holztür der Autobahnkapelle St. Antonius ins Schloss gefallen ist, kehrt fast himmlische Ruhe ein. In dem hellen Raum bleiben Stress und Hektik außen vor, selbst im Hochsommer, wenn im Urlaubsverkehr eine Blechlawine zur Nordseeküste rollt.

Verstärkt folgen Auto- und Motorradfahrer dann Hinweistafeln, die in beiden Fahrtrichtungen bereits 1,5 Kilometer vor der Abfahrt 33 Gescher/Coesfeld auf die Autobahnkapelle aufmerksam machen. Autobahnkirchen und -kapellen gibt es in Deutschland seit 1958. Inzwischen sind es bundesweit 33 sowohl katholische als auch evangelische oder ökumenische. Etliche wurden speziell für diesen Zweck gebaut. Dass St. Antonius nicht dazu gehört, verrät der erste Blick auf den Backsteinbau aus dem 15. Jahrhundert und den umgebenden Kirchplatz mit Gräbern. Bis heute ist das Gotteshaus zugleich Gemeindekirche für die 1.100 Seelen zählende Bauerschaft Tungerloh, die zur Pfarre St. Pankratius und St. Marien in der Stadt Gescher gehört.

Die Funktion als Autobahnkapelle sei erst 1998 hinzugekommen, erinnert sich der Vorsitzender des Kapellenbeirates, Josef Schültingkemper, der sich um Pflege und Unterhalt kümmert. Den Anstoß habe der Leiter der örtlichen Autobahnpolizei gegeben. Denn schon ganz formal erfüllt das Gebäude wesentliche Voraussetzungen, die an Autobahnkirchen gestellt werden. Sie dürfen nicht weiter als einen Kilometer von der Autobahn stehen und zwei von ihnen müssen an der gleichen Autobahn mindestens 80 Kilometer von einander entfernt liegen. Zudem sind Mindestöffnungszeiten von 8 bis 22 Uhr einzuhalten, und Parkplätze sowie sanitäre Anlagen müssen vorhanden sein.

Jährlicher Verbrauch von 16.000 Kerzen
Da trifft es sich doppelt gut, dass an der A31 gleich neben der Raststätte für die Seele sich ein münsterländischer Landgasthof befindet. In dem können Reisende auch ihren ganz körperlichen Hunger und Durst stillen. Rund eine Million Besucher machen jährlich in deutschen Autobahnkirchen und -kapellen für etwa 10 bis 15 Minuten Station, hat die katholische Fachhochschule in Freiburg in einer Studie festgestellt. Wie viele davon in St. Antonius rasten, weiß Schültingkemper nicht. Sicher ist er, dass "viele Wiederholungstäter" darunter sind - aber nur wenige wirklich kriminelle wie jener, der im vergangenen Jahr die Reliquie des heiligen Antonius stahl. Danach wurde eine Videoüberwachung der Kapelle installiert.

Dass die Zahl insgesamt stattlich sein dürfte, belegt der jährliche Verbrauch von 16.000 Kerzen. Die meisten davon brennen rechts im Chorraum vor der Antonius-Statue aus dem 15. Jahrhundert. In dem gleich daneben liegenden Dank- und Fürbitten-Buch findet sich fast für jeden Tag mindestens ein Eintrag, in Ferienzeiten häufig mehr. "Bitte helfe mir, ein alkoholfreies Leben zu führen" und "Beschütze meinen Marcel in Afghanistan" lauten einige ganz persönliche Anliegen, Ängste und Sorgen. Aber auch Dank und Freude werden ausgedrückt, etwa dafür, " dass wir ein frohes und friedliches Wochenende verbringen durften" oder "für den schönen Urlaub. Dass alles gut gegangen ist". Zahlreiche Einträge in Niederländisch erinnern an die Grenznähe.

Andacht und Reisesegen
Auch eine der drei Frauen, die um die Mittagszeit die Kapelle betreten, geht zielstrebig an das Stehpult und schreibt etwas ins Buch. Weit mehr als sie entspricht wenig später der nächste Besucher dem Nutzerprofil deutscher Autobahnkirchen: männlich, verheiratet, katholisch, um die 50 Jahre alt. In einer der Holzbänke sitzend lässt er etliche Minuten die Kombination von spätgotischer Rankenmalerei an der Decke und modernem Chorraum auf sich wirken.

Der Künstler Herbert Daubenspeck aus Emsdetten konzipierte die Neugestaltung 1972. Sein Grundgedanke war die Kapelle als Raststätte. Damals ahnte er sicher nicht, dass sie einmal im wahrsten Sinne des Wortes eine Raststätte für die Seele sein würde. Ein Ort, an dem am Sonntag der Tag der Autobahnkirchen um 14 Uhr mit Andacht und Reisesegen beginnt.