"Sportfreunde Stiller"-Bassist über Terror, Angst und Glaube

"Deutschland kann viel mehr schaffen"

Die Band "Sportfreunde Stiller" ist seit 20 Jahren auf den Bühnen der Republik unterwegs. Am Freitag erscheint ihr neues Werk "Sturm und Stille". Bassist Rüdiger Linhof spricht im Interview über die deutsche Angstgesellschaft und den Glauben an das Gute.

Rüdiger Linhof (l.r.) Florian Weber und Peter Brugger von der Indie-Rock-Gruppe Sportfreunde Stiller / © Matthias Balk (dpa)
Rüdiger Linhof (l.r.) Florian Weber und Peter Brugger von der Indie-Rock-Gruppe Sportfreunde Stiller / © Matthias Balk ( dpa )

KNA: Herr Linhof, das neue Album heißt "Sturm und Stille". Warum der Titel?

Rüdiger Linhof (Bassist "Sportfreunde Stiller"): Wir wollten den Verbindungsfaden alter Freundschaften beschreiben. Freundschaften, die über Jahrzehnte pausieren, bei denen aber ein Grundgefühl der Verbundenheit bestehen bleibt, wenn man sich zufällig trifft und einen Abend miteinander verbringt. Man ist gemeinsam durch Stürme, aber auch durch ruhige Zeiten des Lebens gegangen.

KNA: Wie wichtig sind diese ruhigen Zeiten?

Linhof: Wichtig ist es, ab und zu den Standort und die Perspektive zu wechseln. Der Moment der Reflexion ist wie ein Kompass fürs Leben. Wenn man den verliert, läuft man Gefahr, ungesteuert in der Gesellschaft mitzuschwimmen. Das gilt nicht nur für Einzelne, sondern auch für bestimmende Kräfte der Gesellschaft.

KNA: Zum Beispiel?

Linhof: Viele Medien rennen bei Themen mit, ohne sie zu reflektieren. Medien sollten neben der Information den Menschen Angst und Druck nehmen, indem sie Erklärungen und Lösungen anbieten. Dinge herauszuschreien und Ängste zu schüren, damit man Gehör bekommt - das schadet dem gesellschaftlichen Zusammenhalt.

KNA: Weicht dieser Zusammenhalt auf?

Linhof: Die Gesellschaft ist momentan getrieben von Ängsten: Amok, Terrorismus, Überfremdung, Finanzkrise, Brexit. Ich fühle mich überschwemmt. Doch wir leben nicht im Fegefeuer, sondern in einem Land, in dem man Dinge positiv gestalten kann. Das geht aber nur, wenn wir nicht wie Feldhasen vor allem weglaufen, weil hinter jeder Ecke vermeintlich ein Monster steht.

KNA: Also mehr Optimismus?

Linhof: Ein Problem sollte nicht nur als Problem herausgeschrien werden. Wir brauchen einen positiven Standpunkt dazu. Nur so können neue Ideen entwickelt und die Gesellschaft gestaltet werden. Klar, es geht nicht darum, den Frohsinn zu predigen. Wir leben aber auf einem Kontinent, wo wir wahnsinnig viele Privilegien haben und die auch schätzen sollten.

KNA: Das geschieht zu wenig?

Linhof: Vor allem radikale Positionen - von der AfD über Marine Le Pen bis hin zu Donald Trump - diskreditieren diese Privilegien. Das sind manipulative Kräfte, die Menschen einfangen. Dagegen muss man sich lautstark zu Wort melden.

KNA: Im Song "Viel zu schön" heißt es: "Ob auf irgendeiner Wolke jemand sitzt, der dich führt, der dich beschützt - ich glaube es nicht, hoffe es aber für dich."

Linhof: Kein Mensch kann beweisen, dass es Gott gibt. Wenn jemand aber daran glaubt, weil es ihm hilft, Hoffnung gibt und den Kreis zwischen Leben und Sterben schließt, dann ist das eine wunderbare Leistung. Denn so hat man einen Standpunkt zum Tod.

KNA: Wie wichtig ist der Glaube an etwas?

Linhof: Es ist das Wichtigste im Leben, an etwas zu glauben, das Sinn gibt. Ob es soziales Engagement ist oder Spiritualität - das ist egal. Wir suchen alle nach etwas, das uns Halt und Kraft gibt. Ein friedlicher Glaube ohne politischen Anspruch ist mir sympathisch. Er darf sich aber nicht vom Leben entfremden, sonst wird der Glaube zu einer fürchterlichen Waffe.

KNA: Im Lied "Keith und Lemmy" geht es ums Älterwerden. Wo ist dabei die Kunst?

Linhof: Irgendwann muss jeder beginnen sich anzunehmen. Wenn sich jemand einer Schönheits-OP unterzieht, um seinem eigenen Bild gerecht zu werden, soll er das machen. Ich glaube aber nicht, dass so ein Schritt grundlegende Fragen befriedigt. Jeder muss in seinem Leben Probleme und Verletzungen verarbeiten. Es ist eine Kunst, auf zwei Beinen durchs Leben zu gehen. Denn nicht nur der Körper, auch die Seele muss auf eigenen Beinen stehen. Je mehr man sich der Vergänglichkeit bewusst wird, desto mehr kann man die Gegenwart feiern.

KNA: Die "Sportfreunde Stiller" haben im Vorjahr als eine der ersten Bands ein Dankkonzert für Flüchtlingshelfer gespielt hat. Braucht es ein solches Engagement von Musikern?

Linhof: Das braucht es von jedem Menschen. Vor einem Jahr wurde eine unglaubliche gesellschaftliche Handlungsintelligenz an den Tag gelegt. Das hat meinen Glauben an die Kraft der Gesellschaft bestärkt und mir gezeigt: Das Land ist stark im Guten.

KNA: Schlägt diese gute Stimmung jetzt um?

Linhof: Das Negative hat oft eine stärkere Durchschlagskraft. Die Leute schauen nicht auf die, die eine schlimme Vorgeschichte haben, traumatisiert sind und monatelange mit Hunderten Fremden in Turnhallen wohnen - ohne Austicken. Man sieht nur die Menschen, die durchdrehen - und schließt von denen auf alle.

KNA: Dennoch gab es Terrorangriffe, die auf das Konto von Geflüchteten gehen und die Silvesternacht in Köln.

Linhof: Es ist naiv anzunehmen, dass Flüchtlinge nur gute Menschen sind. Sie sind anders sozialisiert als wir. Integration ist eine große Aufgabe.

KNA: Werden sich auch die folgenden Generationen dieser Aufgabe annehmen?

Linhof: Andere kann man nicht verändern, sondern nur inspirieren. Etwa dadurch, indem man die Gesellschaft öffnet und auf die Bedürfnisse der Flüchtlinge eingeht. Ein guter erster Schritt ist islamischer Religionsunterricht. Er kann Menschen davor bewahren, in Moscheen zu gehen, in denen sie radikal werden. Integration ist eine Riesenaufgabe, darf aber keine Angst machen.

KNA: Aber viele haben genau davor Angst...

Linhof: Viele sind überrascht, weil jetzt die 'schöne Blase des Glücks' hinterfragt wird. Aber Deutschland geht es gut. Deutschland kann viel mehr schaffen, als diesen Menschen nur den Start zu vereinfachen.

Das Interview führte Samuel Dekempe.


Quelle:
KNA