SPD sieht keine Chancen - FDP droht mit Gang nach Karlsruhe

Heftige Kritik an Schäuble-Vorschlag zu Luftsicherheit

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble stößt mit seinem Vorschlag für eine neues Luftsicherheitsgesetz auf heftige Ablehnung. SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz bezifferte die Chancen auf eine Umsetzung des Schäuble-Vorschlages, den Abschuss gekaperter Zivilflugzeuge mit Unbeteiligten an Bord zu ermöglichen, am Mittwoch auf null. Die FDP wies Schäubles Plan zurück und drohte mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Die Pilotenvereinigung Cockpit und der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) lehnten Schäubles Vorstoß ab. Einige Experten begrüßten ihn dagegen.

 (DR)

Das Bundesverfassungsgericht hatte eine Passage im Luftsicherheitsgesetz am 15. Februar 2006 für verfassungswidrig erklärt, weil das Leben der entführten Passagiere nicht gegen das Leben möglicher Opfer außerhalb des Flugzeugs abgewogen werden dürfe. Schäuble will nun im Grundgesetz einen „sonstigen Angriff auf die Grundlagen des Gemeinwesens" als eine Art Kriegsfall einführen, mit dem bei einem drohenden Terroranschlag das Kriegsvölkerrecht angewendet werden könnte.

Wiefelspütz sagte, Schäubles Vorschlag schaffe nicht mehr Sicherheit für die Bürger, sondern mehr Unklarheiten und Unsicherheiten. Bei einem terroristischen Angriff wie am 11. September 2001 in den USA könne in Deutschland bereits heute die Bundeswehr zur Landesverteidigung eingesetzt werden. Die SPD diskutiere in punkto Luftsicherheitsgesetz lediglich eine Änderung von Grundgesetzartikel 35. Nur wenn ausschließlich Terroristen an Bord einer Maschine seien, dürfe das Flugzeug abgeschossen werden.

Den Liberalen wollen zur Not klagen
Die FDP-Rechtsexpertin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wies diesen Vorschlag zurück. Zugleich warf sie Schäuble eine Verwischung von Friedens- und Kriegsrecht vor. Seit sie ihn kenne, sei Schäuble von dem Gedanken beseelt, die Bundeswehr im Inneren einzusetzen und keine Unterscheidung mehr zwischen Kriminalität und Krieg zuzulassen. Damit verstoße er gegen den Kern des Grundgesetzes. Zudem lege die Verfassung fest, dass das Parlament und nicht die Regierung den Verteidigungsfall feststelle. Dies wolle Schäuble jetzt mit einem Quasi-Verteidigungsfall ändern.

Der FDP Innenpolitiker Max Stadler nannte Schäubles Vorhaben eine unzulässige Umgehung des Bundesverfassungsgerichtsurteils. Außerdem sei die Idee eines Quasi-Verteidigungsfalles gefährlich. "Würde der Gedanke des kriegsähnlichen Zustands fortgeführt, dann könnten laufend Grundrechte eingeschränkt oder missachtet werden unter Berufung auf einen angeblichen Kriegszustand", sagte der FDP-Politiker.

Der frühere FDP-Politiker Burkhard Hirsch, der bereits gegen das rot-grüne Luftsicherheitsgesetz geklagt hatte, warf Schäuble vor, mit seinem Plan die Verfassung aufzukündigen. "Wenn es dem Staat ermöglicht werden soll, bei einem terroristischen Angriff im Inland das Kriegsrecht auszurufen, dann gehen wir nach Karlsruhe", sagte er.

Pilotenvereinigung ist empört
Der Sprecher der Vereinigung Cockpit, Markus Kirschneck, sagte der Nachrichtenagentur ddp: "Es ist ziemlich vermessen, das Auslöschen von Menschenleben auf die formaljuristische Schiene herunterzubrechen". Die Möglichkeit eines katastrophalen Irrtums sei bei einem solchen Gesetz immens groß.

BDK-Chef Klaus Jansen sagte, es gebe keine strategischen Konzepte, wie bei der Entführung eines Passagierflugzeuges vorgegangen werden solle. Fahndung und Ermittlung fielen in die Zuständigkeit der Polizei. "Soll ein polizeilicher Einsatzführer die Kampfflugzeuge bei der Luftwaffe unter bestimmten Bedingungen abrufen dürfen und dann auch den Abschuss bestimmen dürfen?", fragte Jansen.

Staatsrechtler befürworter Schäubles Vorstoß
Der Potsdamer Staats- und Völkerrechtler Eckart Klein sagte dagegen: „Schäubles Vorstoß ist verfassungsrechtlich der einzig gangbare Weg." Bei einem Terrorangriff, der mit einem Verteidigungsfall gleichzusetzen sei, greife die Argumentation mit der Menschenwürde nicht. "Die absichtliche Tötung Unschuldiger ist nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Kriegsfall möglich, wenn das eine notwendige Folge der Verteidigung ist", sagte Klein.

Der Historiker Herfried Münkler unterstützte die Pläne Schäubles. Praktisch gehe es allerdings vor allem darum, demjenigen eine Handlungsgrundlage zu geben, der in sehr kurzer Zeit die Entscheidung über einen Abschuss treffen müsse. "Das entscheidet doch in Wahrheit nicht der Verteidigungsminister, in Wahrheit ist es ein Offizier. Der braucht doch eine einigermaßen verlässliche Grundlage", sagte Münkler.

Der Berliner Staatsrechtler Christian Pestalozza sagte hingegen, die Tötung Unbeteiligter könne nicht per Gesetz geregelt werden. Falls ein von Terroristen als Waffe eingesetztes Passagierflugzeug abgeschossen werden müsse, um weitere Menschenleben zu retten, könne die Entscheidung im Rahmen eines "übergesetzlichen Notstands" möglicherweise als schuldfrei beurteilt werden. Dann könne "als einziges unabweisbares Mittel" ein Rechtsgut geopfert werden, wenn dafür ein gleichwertiges gerettet wird.