Aufstehen können wir nur jetzt

Später ist es zu spät

Das erste Mal war in den 70ern. Ich stand auf einer Art Holzgerüstaussichtspunkt, schaute über die Berliner Mauer, Stacheldraht und Selbstschussanlagen nach Ostberlin.

Berliner Mauer / © DB (dpa)
Berliner Mauer / © DB ( dpa )

Dachte auf der Klassenfahrt im 10. Schuljahr an die Menschen, auch an Schüler so alt wie ich, die dahinter eingesperrt waren. Diesen Blick über den Stacheldraht an der Berliner Mauer habe ich nie vergessen.  So viel Ungerechtigkeit, Leid und Ohnmacht.

Das zweite Mal war im Januar 1990. Nur Wochen nach dem historischen 9. November war ich  in Berlin für ein Praktikum beim SFB. Auf meinen Streifzügen durch die Stadt, kam ich immer wieder  an der unterdessen löchrigen, bunten Berliner Mauer vorbei. Das Bild, das ich dieses Mal nie vergessen sollte: ein kleines Mädchen, das durch ein Loch in der Berliner Mauer hüpfte. So viel Leichtigkeit, Freude und Hoffnung.

Das dritte Mal war im Januar. Ich begleitete die Schulklasse meines Sohnes nach Berlin. In kleinen Gruppen machten sich die Schüler auf, die Stadt zu entdecken. Die Berliner Mauer: nur noch eine Gedenkstätte. Ob Brandburger Tor oder Berliner Mauer, für die Schüler ist das alles eins, alles Geschichte.

Na klar, die Berliner Mauer ist schon länger weg, als sie gestanden hat. Jetzt könnte ich froh sein: wir sind ein Volk, nach dem Ende des Krieges haben jetzt alle Deutschen wieder alle Rechte.

Ich bin aber nicht froh. Denn ich frage mich: Wie lange noch sind wir ein Volk? Wie lange stehen wir für diese Rechte ein? Alle!

Mit der Klasse meines Sohnes waren wir auch Bundestag. Außer, dass sie Angela Merkel live und in Farbe gesehen haben, waren sie danach vor allem mit einem beschäftigt, dem Verhalten der AfD-Mitglieder, die höhnisch lachend  und laut zwischenrufend, herumpöbelten. Die Schüler waren schockiert. Ich auch.

Einmal mehr habe ich mich darüber erschrocken, dass eine Partei, deren Mitglieder zum Teil offen den Holocaust leugnen, im Bundestag sitzt. Und ihr Fraktionsvorsitzender Alexander Gauland im März, wie der stenographische Bericht im Bundestag beweist, sagt: "Wie schön, dass wir hier sind. Wir werden Euch jagen."

Ich will mich nicht jagen lassen. Ich will mich an Erich Kästner erinnern.

Dessen Bücher die Nazis 1933 verbrannten. 25 Jahre nach den Bücherverbrennungen hat er gesagt: "Später war es zu spät" Kästner hat auch gesagt: „Gegen menschenfeindliche Ideologien hilft keine Geduld. Nur handeln." Handeln, aufstehen, widersprechen, demonstrieren können wir nur jetzt.

Später wird es wieder zu spät sein