Ex-Caritas-Generalsekretär Cremer fordert mehr Gerechtigkeit

"Sozialpolitik muss Menschen schützen"

Gegen eine Verkürzung des Sozialstaats auf ökonomische Prinzipien wendet sich der langjährige Caritas-Generalsekretär Georg Cremer in seinem neuen Buch "Sozial ist, was stark macht". Darin blickt er auch an die Ränder der Gesellschaft.

Verzweifelte junge Frau / © panitanphoto (shutterstock)
Verzweifelte junge Frau / © panitanphoto ( shutterstock )

Darin fordert Cremer, Sozialpolitik immer daran zu orientieren, dass Bürger bestmöglich gestärkt werden und somit "Akteure ihres eigenen Lebens werden können". Sozialpolitik müsse Menschen in Not schützen und Diskriminierungen bekämpfen, gleichzeitig aber stärker in den Blick nehmen, wie jede und jeder gestärkt werden könne.

Jeder Bürger brauche für ein gelingendes Leben ausreichende ökonomische Ressourcen, dafür müsse der Sozialstaat eintreten. Ökonomische Umverteilung sei unverzichtbar. Darüber hinaus sei aber der gesellschaftliche Rahmen für Befähigungsgerechtigkeit und Verwirklichungschancen entscheidend.

"Eigenveranwortung und Solidarität ist kein Widerspruch"

Cremer setzt sich in seinem am Montag (28. Juni) im Freiburger Verlag Herder erschienen 250-seitigen Buch vor allem mit den Ideen des indisch-amerikanischen Ökonomen und Nobelpreisträgers Amartya Sen auseinander. Cremer argumentiert, Eigenverantwortung und Solidarität seien kein Widerspruch.

Menschen am Rand der Gesellschaft müssten stärker in die Verantwortung genommen werden. Daher dürften Sozialpolitik und soziale Arbeit Menschen nicht auf eine "Opferrolle" festschreiben, sondern stärker Befähigung ermöglichen.

"Erforderlich ist ein breiteres Verständnis sozialer Gerechtigkeit, das nicht verteilungspolitisch verengt ist", so Cremer. Das Einfordern von Eigenverantwortung dürfe andererseits nicht dazu führen, Notlagen zu individualisieren oder einen Rückzug des Sozialstaates zu legitimieren.

"Eine Politik der Befähigung ist keine Abkehr von einem sorgenden Sozialstaat, der der Menschen in Notlagen beisteht." Cremer entfaltet seine Überlegungen für Politikfelder wie Bildung, Gesundheit oder auch Stadtentwicklung.

Kinder aus sozialschwachen Familien fördern

In der Bildungspolitik geht es Cremer darum, die aus seiner Sicht in Deutschland zu großen Nachteile für Kinder aus sozialschwachen Familien abzubauen. Bei der Gesundheitspolitik müsse es beispielsweise um Stärkung von Prävention gehen.

Als große Herausforderung sieht Cremer eine wachsende "Segregation von Wohngebieten nach sozioökonomischer Lage". Er spricht sich auch für ein Mitdenken von Sozialpolitik beim Kampf gegen den Klimawandel aus. In einer ersten Analyse der sozialen Folgen der Corona-Pandemie beschreibt Cremer eine dramatische Überforderung von "erschöpften Familien". 

Cremer war von 2000 bis 2017 Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes. Der 69-jährige Volkswirt ist Autor mehrere Bücher zu Sozialpolitik. Zuletzt erschien 2018 "Deutschland ist gerechter als wir meinen".


Der Ex-Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes: Georg Cremer / © Markus Nowak (KNA)
Der Ex-Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes: Georg Cremer / © Markus Nowak ( KNA )
Quelle:
KNA