Sozialethiker zur Debatte um Kundus-Luftangriff

"Militärische Komponente des Einsatzes wird immer stärker"

Die Diskussion um den von der Bundeswehr veranlassten Nato-Luftschlag bei Kundus vom 4. September reißt nicht ab. Dabei rückt die ethisch-moralische Beurteilung des Angriffs immer stärker in den Vordergrund, der wohl nicht in erster Linie Tanklastwagen, sondern den Taliban galt.

 (DR)

Der Professor für Katholische Sozialethik an der Universität der Bundeswehr Hamburg, Thomas Hoppe, spricht im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Dienstag über Lektionen aus dem Vietnamkrieg, Legitimierung von Gewalt und die Rolle der Kirche.

KNA: Herr Hoppe, wie bewerten Sie die aktuelle Diskussion um den Nato-Luftangriff?
Hoppe: Es ist momentan nicht möglich, von außen zu beurteilen, wer zu welchem Zeitpunkt wie viel wusste, um die Öffentlichkeit über die Ereignisse in der Nähe von Kundus zutreffend informieren zu können.
Bereits die andauernde Auseinandersetzung über diese Frage beschädigt jedoch die Glaubwürdigkeit von Stellungnahmen des zuständigen Ministeriums.

KNA: Welche Auswirkungen hat das auf die Akzeptanz des Afghanistan-Einsatzes, der ohnehin bei vielen Deutschen umstritten ist?
Hoppe: Künftig wird es schwerer werden, das Vertrauen der Bürger für eine Fortführung, ja möglicherweise noch eine Intensivierung des Einsatzes in Afghanistan zu gewinnen. Dazu trägt wesentlich bei, dass sich das politische Konzept, das hinter diesem Einsatz steht, derzeit vor schwieriger gewordene Realisierungsbedingungen gestellt sieht. Mit der Entsendung der ISAF-Truppe war die Hoffnung verbunden, unter ihrem Schutz wesentlich zur Umgestaltung der gesellschaftlichen und politischen Strukturen in Afghanistan beitragen und so den Nährboden für terroristische Gewalt austrocknen zu können. Im Zuge des Wiedererstarkens nicht nur der Taliban, sondern auch anderer milizähnlicher Kräfte vor Ort wird jedoch nunmehr die militärische Komponente des ISAF-Einsatzes immer stärker betont.

KNA: Der damalige Verteidigungsminister Jung hatte immer betont, die Bundeswehr solle in Afghanistan schützen, stabilisieren und aufbauen; neueste Erkenntnisse vermitteln aber den Eindruck, dass sich ein offensiver Kampfgedanke in den Vordergrund schiebt.
Hoppe: Etliche Fachleute im In- und Ausland sind darüber besorgt, dass dieser Einsatz immer deutlicher die Züge eines Krieges annimmt. Dass die Gefahren einer politisch nur schwer einzudämmenden Eskalation - zu erinnern ist an die Erfahrungen in Vietnam - in den USA selbst deutlich gesehen werden, konnte man in den letzten Wochen erkennen, als dort um die Neufokussierung der Afghanistan-Strategie von Präsident Obama gerungen wurde. Allerdings muss man auch zugeben, dass die entstandene Situation für die ISAF-Truppe objektiv Züge eines Dilemmas trägt: Einer Intensivierung der Kampfhandlungen könnte sie wohl nur durch ihren baldigen Abzug entgehen. Dies hätte dramatische Konsequenzen für die Afghanen, vor allem für die vielen Menschen, die sich in den vergangenen Jahren im Projekt eines großangelegten Neuanfangs engagiert haben. Es geht nicht an, sie nun schutzlos dem ihnen drohenden Schicksal zu überlassen. Auch dies gehört zu den Lektionen, die aus Vietnam zu erinnern sind.

KNA: Laut Medienberichten galt der Angriff in erster Linie Menschen, nicht Tanklastwagen; dieses Vorgehen soll Teil einer vom Kanzleramt gebilligten Eskalationsstrategie gewesen sein. Wie ist eine solche Strategie ethisch-moralisch zu bewerten?
Hoppe: In jeder Situation, in der Gewaltanwendung sich nicht vermeiden lässt, gilt als strikt zu beachtender Grundsatz das Minimierungsgebot: Die Gewalt darf sich nur gegen diejenigen richten, von denen offenkundig schwerwiegende Gefährdungen für Leib und Leben anderer ausgehen. Nicht an den Kämpfen beteiligte Menschen sind vor deren Folgen zu verschonen, was nur möglich ist, wenn man die Situation sehr sorgfältig daraufhin überprüft, auf welche Weise man ihre Schädigung tatsächlich vermeiden kann. Keinesfalls darf der Tod von Unbeteiligten zur unvermeidlichen Begleiterscheinung des Einsatzes militärischer Mittel erklärt und mehr oder weniger bedenkenlos in Kauf genommen werden.

KNA: Müsste sich die Kirche nicht klarer positionieren zum Thema Afghanistan-Einsatz?
Hoppe: Ich halte es gerade in der jetzigen Situation für geboten, dass die Kirche die unverzichtbaren ethischen Grundnormen für die Kontrolle und Eingrenzung organisierter Gewalt im öffentlichen Bewusstsein hält und die politisch Verantwortlichen daran erinnert, dass sie für deren Durchsetzung Sorge tragen müssen. Darüber hinaus liegt ein Kernanliegen kirchlicher Friedensethik darin, dass sich Einsätze wie in Afghanistan an der Leitperspektive eines gerechten Friedens orientieren. Dies bedeutet auch, die tatsächlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass gesellschaftliche Lebensformen möglich werden, in denen ein verlässlicher Schutz grundlegender Rechte der Person an die Stelle allgegenwärtiger Gewalt tritt. Hier bleibt vieles noch zu tun; vor allem muss verhindert werden, dass sich die öffentliche Aufmerksamkeit zu sehr auf militärische Aspekte verengt und dem Gewicht dieser politischen Herausforderungen nicht angemessen Rechnung getragen wird.

Das Gespräch führte Sabine Kleyboldt .