Kritiker fordern weiterhin Abkehr von neuen Abschiebe-Regeln

Sorge vor "weitaus mehr Härten" nach Corona-Krise

Für die einen war es das "Geordnete-Rückkehr-Gesetz", für andere nur ein neues "Hau-Ab-Gesetz": Vor einem Jahr traten weitere Verschärfungen zu Abschiebungen in Kraft. Zeit für eine Bilanz und einen Ausblick.

Autor/in:
Alexander Riedel
Symbolbild Abschiebung / © Sergey Nivens (shutterstock)
Symbolbild Abschiebung / © Sergey Nivens ( shutterstock )

Manche Befürchtungen der Caritas zu den verschärften Regeln für Abzuschiebende haben sich schon bestätigt. Dazu zählt etwa die längere Unterbringung von Geflüchteten in Erstaufnahmeeinrichtungen, die aus Sicht vieler Kritiker unter anderem die Verbreitung des Coronavirus in den Sammelunterkünften begünstigt hat und weitere Probleme mit sich bringt. Doch der katholische Wohlfahrtsverband rechnet noch mit "weitaus mehr Härten", sobald das am 21. August 2019 in Kraft getretene "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" seine volle Wirkung entfaltet. Bislang hat dies die Corona-Pandemie weitgehend verhindert.

Noch in den ersten beiden Monaten 2020 erreichte die Zahl der Abschiebungen mit jeweils mehr als 1.500 in etwa das Niveau der vergangenen Jahre. Im März folgte dann auch hier pandemiebedingt der Einbruch. Seitdem wurden im Vergleich nur noch wenige Abschiebungen vollzogen: Im April zählte das Bundesinnenministerium 30, im Mai 92 und im Juni 406. Für Juli liegen die Zahlen noch nicht vor.

Seehofer verfehlte Ziel

Damit hat Minister Horst Seehofer (CSU) sein großes Ziel zunächst weit verfehlt: Er wollte mit dem Gesetz die Zahl der Abschiebungen deutlich steigern. Wie er immer wieder betont, ist für ihn die konsequente Durchsetzung der Ausreisepflicht die eine Seite der Medaille, deren andere die Humanität bei der Aufnahme von Schutzbedürftigen ist. Eine Sprecherin des Ministeriums teilt auf Anfrage mit, dass zu Wirkung und Umsetzung des Gesetzes wegen der Pandemie und des «vergleichsweise kurzen Bewertungszeitraums» noch keine Aussagen getroffen werden könnten.

Die Liste der umstrittenen Punkte des Gesetzes war lang: von der sanktionsbewährten «Duldung light» für Ausreisepflichtige mit ungeklärter Identität über die «Mitwirkungshaft» zur Klärung ebenjener Identität bis hin zur räumlich getrennten Unterbringung von Abschiebehäftlingen in normalen Gefängnissen. Für Kritiker stehen diese Regeln weiterhin weniger für eine «geordnete Rückkehr» als vielmehr für ein weiteres «Hau-Ab-Gesetz».

Kritik von Pro Asyl

Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt nennt das Regelwerk sogar den "staatlichen Kontrapunkt" zum berühmten Satz "Wir schaffen das" von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Das Gesetz bremse die zivilgesellschaftliche Willkommenskultur aus. Aus der Praxis berichtet Burkhardt, dass der "neue prekäre Status" der "Duldung light" nach Einschätzung von Beratungsstellen und Anwälten bereits verbreitet sei. Betroffenen werde die staatliche Leistung gekürzt, das Arbeiten verboten und eine Wohnsitzauflage erteilt sowie der Weg in ein Bleiberecht versperrt. Mit ersten statistischen Daten zum neuen Duldungsstatus ist laut Innenministerium indes erst 2021 zu rechnen.

Mit dem Gesetz wollte Seehofer auch für mehr Abschiebehaftplätze sorgen. Statt bundesweit rund 500 sollten es mindestens doppelt so viele werden. Aktueller Stand laut Ministerium: 553. Zwar werden in der Pandemie für weniger Abschiebungen auch weniger Haftplätze benötigt. Doch den Angaben zufolge machte selbst vor Corona einzig Sachsen-Anhalt von der neuen und ebenfalls höchst umstrittenen Möglichkeit Gebrauch, Abschiebehäftlinge räumlich getrennt in normalen Gefängnissen unterbringen zu können - und das nach eigenen Angaben auch nur 18 Mal.

Unabhängige Beratungsstelle gefordert

Ein weiterer häufiger Kritikpunkt betrifft die Umsetzung der Asylverfahrensberatung. Neben den Wohlfahrtsverbänden sei das staatliche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge damit betraut worden, da könne von der ursprünglich versprochenen Unabhängigkeit keine Rede mehr sein, sagt die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke. Auch die Caritas fordert eine vom Bund finanzierte und behördenunabhängige Beratung für Asylantragsteller.

Aus Sicht von Jelpke war jedoch schon der Ansatz des Gesetzes falsch: "Es gibt keine Defizite bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht, sondern bei der Wahrung der Menschwürde bei Abschiebungen", sagt sie. Statt Abschiebungen um jeden Preis brauche es dringend humanitäre Bleiberechtsregelungen. Ähnlich sieht das auch die migrationspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Filiz Polat: Die Bundesregierung habe ein «Desintegrationsprogramm» aufgelegt, ignoriere die Folgeprobleme und verweigere sich der Nachbesserung, bilanziert sie.


Quelle:
KNA