In Somalia wählen die Parlamentsabgeordneten einen neuen Staatspräsidenten

Neuanfang mit alten Gesichtern

Mehr als zwei Jahrzehnte lang hatte Somalia allenfalls ein Provisorium als Regierung. Jetzt soll in dem Bürgerkriegsland ein Präsident gewählt werden. Doch mit Demokratie hat das nichts zu tun.

Autor/in:
Bettina Rühl
 (DR)

Auf dem Bakhara-Markt von Mogadischu schieben sich die Kunden durch die schmalen Gassen. Einige Händler versuchen, Käufer per Megafon an ihre Stände zu locken. Lautstark preisen sie Medikamente, Schuhe oder Telefonkarten an. Wahlslogans sind dagegen nicht zu hören, und kein Wahlplakat ist zu sehen. Dabei soll in wenigen Tagen ein neuer Präsident gewählt werden, und das ist für Somalia eigentlich eine Sensation.



Das Bürgerkriegsland am Horn von Afrika hat seit 21 Jahren keine richtige Regierung mehr. Es gibt nur eine Übergangsregierung, die von den Vereinten Nationen gestützt wird. Ihr Mandat läuft am 20. August aus. Seit einem Jahr steht fest, dass an diesem Tag erstmals wieder ein "richtiges" Staatsoberhaupt bestimmt werden soll. Das Parlament wird nicht vom Volk gewählt, sondern von einem sogenannten Rat der Ältesten bestimmt. Eine neue Verfassung hat der Rat Anfang August bereits verabschiedet.



An eine demokratische Wahl ist aus Sicherheitsgründen nicht zu denken. Weite Teile des Landes mit etwa zehn Millionen Einwohnern werden weiter von der islamistischen Al-Schabaab-Miliz beherrscht, die zum Terrornetzwerk Al-Kaida gehört und Krieg gegen die Übergangsregierung führt.



Neue Regierung, alte Gesichter

"Der Übergangsprozess versucht nur, sich den Anschein demokratischer Verhältnisse zu geben", sagt denn auch Emmanuel Kisangani. Er arbeitet für das Institut für Sicherheitsstudien, eine afrikanische Forschungseinrichtung, die auch in der kenianischen Hauptstadt Nairobi ein Büro hat.



Kisangani und andere Kenner Somalias beobachten seit Monaten, dass "die Mitglieder der bisherigen Übergangsregierung versuchen, sich in einer anderen Verpackung neu zu verkaufen und so an der Macht zu bleiben". Wahrscheinlich ist daher, dass in der neuen Regierung dieselben Leute sitzen werden wie bisher: "Dabei wurde diesen Politikern ein kaum zu überbietendes Ausmaß an Korruption vorgeworfen."



Für die skrupellose Veruntreuung von Geldern durch die Übergangsregierung unter Präsident Scheich Scharif Ahmed gibt es viele Belege. Die jüngsten sind in einem Bericht der UN-Expertengruppe für Somalia gesammelt. Er wurde nicht veröffentlicht, liegt dem Evangelischen Pressedienst (epd) aber vor. Demnach gibt es für 70 Prozent der Gelder, die für Entwicklung und Wiederaufbau bestimmt waren, keinen Verwendungsnachweis.



Die somalische Übergangsregierung wies die Vorwürfe zurück. Der UN-Bericht sei "fahrlässig und unverantwortlich". Viele Somalier sind dagegen überzeugt, dass die Experten der Vereinten Nationen die Verhältnisse richtig erkannt haben. "Diejenigen, die jetzt an der Macht sind, haben nichts für uns getan. Keine Straße gebaut, keine Schule, keine Krankenhäuser", beklagt zum Beispiel Abdulkadir Ibrahim Gaal. Er ist der Chef des somalischen Olympischen Komitees und Koordinator der zivilgesellschaftlichen Gruppen. "Trotzdem behaupten sie, sie hätten wer weiß wie viel in Somalia investiert. Wo ist dieses Geld hin?"



"Es kann nur besser werden"

Die Politiker haben dank ihres ungehemmten Zugriffs auf die Staatskasse Geld genug, sich ihren Einfluss durch Stimmenkauf zu sichern. Der UN-Sondergesandte für Somalia, Augustine Mahiga, beklagte schon Anfang August, dass um die Sitze im Parlament ein reger Handel entstanden ist. Es gilt daher als wahrscheinlich, dass der neue Präsident so heißen wird wie der jetzige Übergangspräsident: Scheich Scharif Ahmed.



Ein weiterer möglicher Wahlsieger: Parlamentspräsident Scharif Hassan Scheich Aden, der sich vor allem als Konflikttreiber immer wieder hervorgetan hat. So ist die Begeisterung des Volkes vor der Wahl sehr verhalten. "Es kann nur besser werden", meint der Geschäftsmann Abukhar Scheich Ali. "Auch wenn die neue Regierung nicht das sein wird, was das Volk erwartet. Aber eine schlechte Regierung ist besser als keine Regierung."