Theologin Rahner beklagt ausgebliebene Rehabilitierung Küngs

"So eine Affäre wäre heute nicht mehr möglich"

Der Tod Hans Küngs bewegt die Theologenwelt. An seiner ehemaligen Wirkungsstätte, der katholischen Fakultät in Tübingen, hat er "große Fußstapfen" hinterlassen, so seine Nachfolgerin, Professorin Johanna Rahner.

Hans Küng im Jahr 1980 / © Hans Knapp (KNA)
Hans Küng im Jahr 1980 / © Hans Knapp ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie haben einen Nachruf auf Hans Küng veröffentlicht auf der Internetseite Ihres Instituts. Welche Reaktionen haben Sie als seine Nachfolgerin daraufhin bekommen?

Johanna Rahner (Professorin für Theologie an der Eberhard Karls Universität Tübingen): Es war schon beeindruckend, wie die Reaktionen waren, sowohl international als auch interreligiös. Ich habe eine E-Mail eines griechisch-orthodoxen Kollegen bekommen, der von seiner Studienzeit in Tübingen bei Küng berichtete und der auch von orthodoxer Seite seine Persönlichkeit, sein Lehren und seine Theologie sehr wertgeschätzt und prägend für sich selbst empfunden hat.

DOMRADIO.DE: Es war 1979, als die Deutsche Bischofskonferenz Hans Küng die Lehrerlaubnis entzogen hat. Wie ist damals die katholische Fakultät in Tübingen damit umgegangen?

Rahner: Der Dekan hat jetzt zum Tode von Hans Küng vielleicht eine Formulierung benutzt, die ich sehr unterstützen müsste: "Es hat Wunden hinterlassen, die bis heute nicht geschlossen sind". Wir haben gerade als Katholisch-Theologische Fakultät in Tübingen turbulente Zeiten erlebt. Das erzählen mir immer die älteren Kollegen, die das live erlebt haben. Und dennoch sind wir bis heute geprägt von der Theologie Hans Küngs, auch von seinem Engagement für die Kirche, für den interreligiösen Dialog. Ein Schwerpunkt an der Uni Tübingen. Und wir haben große Fußstapfen, denen wir nachzugehen versuchen.

DOMRADIO.DE: Damals ist das Institut auf Grund der entzogenen Lehrerlaubnis auch ausgelagert worden.

Rahner: Genau, das war sozusagen eine Kompromisslösung, dass Küng sowohl die Rechte zur Habilitation als auch zur Promotion behalten hat. So wurde das Institut direkt den Rektoren unterstellt. Es war also unabhängig und ist dann nach der Emeritierung von Hans Küng wieder an die Theologische Fakultät zurückgefallen.

DOMRADIO.DE: Dort sind Sie jetzt Leiterin und Sie haben immer wieder mit Hans Küng zu tun gehabt. Welchen Einfluss hat er heute noch auf die Forschung in Tübingen?

Rahner: Natürlich von internationalem Renommee ist sein Weltethos-Projekt, aber auch die Idee des Dialogs der Religionen ist eine prägende Spur, der wir heute nachgehen, insbesondere beim geplanten Campus der Theologien in Tübingen. Dort bereiten wir ein Gesprächsforum und ein Forschungsforum der Theologien, jüdischer Theologie, islamischer Theologie und der beiden christlichen Theologien zusammen vor und das wollen wir auch als international renommiertes Projekt durchführen. Das ist durchaus in den Spuren von Hans Küng.

DOMRADIO.DE: Die Päpstliche Akademie für das Leben hat Hans Küng nach dem Tod als große Figur der Theologie gewürdigt. Hat sich das Verhältnis zwischen Küng und der Amtskirche in den vergangenen Jahren wieder angenähert?

Rahner: Also über die Presse ging natürlich das große Treffen in Castel Gandolfo mit Benedikt XVI. wo die beiden alten Herren aus Tübingen wahrscheinlich nicht nur kluge Gedanken und Erinnerungen ausgetauscht haben, sondern sich auch theologisch besprochen haben. Ich weiß nur, dass Hans Küng tatsächlich bis zu seinem Tode daran gelitten hat, dass er eigentlich nie rehabilitiert wurde. Und das halte ich tatsächlich für einen großen Fehler, neben dem zweiten großen Fehler, die Diskussion damals abgebrochen zu haben und ihm die Erlaubnis zu entziehen. Das halte ich bis heute für einen großen Fehler der katholischen Kirche.

DOMRADIO.DE: Jetzt diskutieren im Moment Theologinnen und Theologen beim Synodalen Weg über Reformen in der katholischen Kirche. Geraten denn Theologinnen und Theologen da in Gefahr, mit so etwas wie einer entzogenen Lehrerlaubnis in Kontakt zu kommen?

Rahner: Die Strukturen mögen sich da wenig verändert haben, aber die Atmosphäre hat sich verändert. Ich habe schon zum 90. Geburtstag von Hans Küng vor drei Jahren in einem Interview festgehalten, die Affäre Küng hat uns heutigen Theologinnen und Theologen einen Vorteil gewährt und gewährt ihnen bis heute. So eine Affäre wäre heute nicht mehr möglich.

Wir sind jetzt Dank der Vorarbeiten von Hans Küng so weit, dass man auf diese Art und Weise mit anderen Meinungen, die vielleicht nicht mehr der Tradition sofort vereinbar erkannt werden, nicht so umgeht, dass man sie versucht mundtot zu machen, sondern dass man sich wirklich dem Diskurs aussetzt.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Prof. Johanna Rahner / © Friedhelm Albrecht (Universität Tübingen)
Quelle:
DR