Sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche schockiert auch die Schweizer

Kartei gegen Vertuschung

Sexueller Missbrauch von Minderjährigen, harte Prügelstrafen, eine überforderte Kirchenleitung - und Vertuschung. Auch die Katholiken in der Schweiz sind entsetzt über ein dunkles Kapitel ihrer Kirchengeschichte. Ein Abt fordert nun eine Sünderkartei im Vatikan.

Autor/in:
Jan Dirk Herbermann
 (DR)

Zwar liegen die meisten Taten wie die des Paters Gregor Müller lange zurück. Müller gestand erst unlängst, sich in den 70er Jahren an Ministranten und Klosterschülern vergangen zu haben. Die Untaten von einst empören aber die Eidgenossen immer mehr - vor allem, weil die Täter so lange unbehelligt blieben.

"Die Folgen all der Skandale für das Ansehen der katholischen Kirche sind verheerend", urteilt der streitbare katholische Theologe und Schweizer Hans Küng. Die katholische Bischofskonferenz teilte mit, man sei " beschämt und tief bestürzt " ob der vielen Übergriffe, die in den vergangenen Wochen an das Licht der Öffentlichkeit gelangten. Viele Gläubige und Politiker sind jedoch der Ansicht, die Bischöfe hätten zu langsam, zu umständlich, zu passiv reagiert.

"Die Kirche muss endlich aufhören, das Problem intern regeln zu wollen", fordert der Zürcher Strafrechtler und sozialdemokratische Abgeordnete Daniel Jositsch. Wie die Bischöfe konkret vorgehen wollen, steht noch nicht fest. Erst Anfang Juni werden sie sich zu ihrer nächsten Sitzung treffen.

Plan der Sünderkartei
So lange will der Abt des Klosters Einsiedeln, Martin Werlen, nicht warten. Der Chef der berühmten Einrichtung südlich des Zürichsees dringt auf eine Sondersitzung der Bischofskonferenz. "Wir können die Probleme, die es ganz offensichtlich gibt, angehen", sagte er in einem Interview. Der Abt überraschte die Schweizer mit einem konkreten Plan: Er will eine zentrale Stelle beim Vatikan einrichten - eine Sünderkartei.

Kirchenleute, die angezeigt wurden, sollen dort registriert werden. "Bei einem Stellenwechsel in eine andere Diözese wo auch immer in der Welt, könnte sich ein Bischof erkundigen, ob etwas Gravierendes vorliegt", erläutert Werlen. Auch Schweizer Politiker wie Bundespräsidentin Doris Leuthard fordern ein zentrales Register der Missetäter.

Und Strafrechtler Jositsch geht noch weiter: Die katholische Kirche müsse per Gesetz verpflichtet werden, bei sexuellem Missbrauch Strafanzeige zu erstatten. Für Schweizer Schulen existiert bereits eine Sünderkartei: Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren führt seit 2004 eine zentrale Liste aller "Lehrpersonen ohne Unterrichtsbefugnis" - etwa weil diese sich sexueller Übergriffe schuldig gemacht haben.

Liste unter Bischöfen umstritten
Unter den Bischöfen ist eine solche Schwarze Liste jedoch umstritten. Der Bischof von St. Gallen, Markus Büchel, schlägt vor, das Register auf den deutschen Sprachraum zu begrenzen. Ein verurteilter Schweizer Priester dürfe nicht als Seelsorger in Deutschland oder in Österreich arbeiten. Der Präsident der Bischofskonferenz hingegen, Norbert Brunner, lehnt eine zentrale Erfassung der Täter ab.

Immerhin: Das Bistum Basel behandelt Straftaten von einst offen - und im Internet. Katholische Theologen des Bistums, gegen die Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs laufen, müssen damit rechnen, dass ihre Fälle auf der Webseite des Bistums beschrieben werden. So gibt es etwa "Neues zu Pater Gregor Müller" zu lesen. Kritiker bemängeln jedoch weiter, die Kirche übe sich nur in Schadensbegrenzung.

Sollte man nicht besser versuchen, potenzielle Straftäter frühzeitig zu erkennen - und sie vom Priesterberuf fernhalten? Das scheint fast unmöglich zu sein. "Es gibt psychologische Eignungstests, zudem werden die Seminaristen während des Einführungsjahres psychologisch begleitet", erklärt Ernst Fuchs, der Leiter des Priesterseminars St. Luzi in Chur. Eine Gewähr dafür, dass alle "heiklen Kandidaten" herausgefiltert würden, gebe es aber nicht.