Serbien wird in Den Haag wegen Völkermordes angeklagt

Mühsames Ringen

Nie wieder Völkermord - das war das Bekenntnis der Welt nach dem Holocaust. Doch die Realität sieht anders aus, und die Justiz tut sich schwer. Jetzt aber sitzt Serbien auf der Anklagebank des höchsten UN-Gerichts.

Nustar, ein Dorf nahe Vukovar, 1991 / © epa Jenks
Nustar, ein Dorf nahe Vukovar, 1991 / © epa Jenks

Die Mühlen der internationalen Justiz mahlen quälend langsam: Vor 15 Jahren schon hatte Kroatien das damalige Jugoslawien vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) verklagt. Es habe mit der Politik der "ethnischen Säuberung" von 1991 bis 1995 gegen die Völkermord-Konvention verstoßen. Aber erst jetzt, ab dem 3. März, sitzt Serbien auf der Anklagebank des höchsten UN-Gerichts in Den Haag.

Das Verfahren kann ein Meilenstein in der Rechtsgeschichte sein. Denn noch nie wurde ein Staatschef, geschweige denn ein Staat auf der Grundlage der UN-Konvention für Völkermord verurteilt.

Keiner sollte immun sein

Dabei hatte die Staatengemeinschaft unter dem Eindruck des beispiellosen Massenmordes an den europäischen Juden gleich nach dem Zweiten Weltkrieg in seltener Harmonie bekannt: Nie wieder Völkermord. In der UN-Konvention vom 9. Dezember 1948 verpflichteten sich die Staaten, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um Völkermord zu verhindern und Täter zu bestrafen. Keiner sollte immun sein: kein General, kein Staatschef, sogar Staaten nicht. Doch die internationale Justiz tat sich lange schwer mit diesem schlimmsten Verbrechen der Menschheit.

Erst sechs Tage im Juli 1995 brachten die Wende. Serbische Einheiten überrannten die UN-Schutzzone Srebrenica. Rund 8000 muslimische Männer und Jungen wurden ermordet, Frauen und Mädchen deportiert. Es war der größte Völkermord auf europäischem Boden nach dem Zweiten Weltkrieg.

Tribunale für Ruanda und Sierra Leone

Er war der Auslöser für die Gründung des UN-Kriegsverbrechertribunals zum früheren Jugoslawien in Den Haag. Wegen des Massakers von Srebrenica stehen nun noch der ehemalige Serbenführer Radovan Karadzic

und Ex-General Ratko Mladic

vor den Richtern. Ähnliche Tribunale folgten etwa für Ruanda und Sierra Leone. Vor zwölf Jahren nahm auch das erste permanente Weltstrafgericht in Den Haag seine Arbeit auf.

Diese Gerichte machen individuellen Tätern den Prozess. Doch um Staaten wegen Völkermordes zur Rechenschaft zu ziehen, gibt es nur eine einzige Adresse: den Internationalen Gerichtshof. Hier können nur Staaten einander verklagen.

Das tat Kroatien 1999 und fordert nun von Serbien Schadenersatz für die über 13 500 Toten durch die "ethnische Säuberung". Im Gegenzug verklagte Serbien Kroatien für die Vertreibung Tausender ethnischer Serben aus seinem Gebiet. Wie das Verfahren ausgehen wird, ist ungewiss.

Umstrittenes Völkermord-Urteil über Serbien

Erst ein einziges Mal zuvor sprach der IGH ein umstrittenes Völkermord-Urteil - ebenfalls über Serbien. "Das Gericht erklärt mit 13 zu 2 Stimmen, dass Serbien keinen Völkermord verübt hat", erklärte 2007 die damalige Gerichtspräsidentin Rosalyn Higgins

. Zugleich stellte das Gericht aber in dem Verfahren, das Bosnien angestrengt hatte, fest, dass das Massaker von Srebrenica Völkermord war und Serbien dies nicht verhindert hatte.

"Ein Trostpreis", empörte sich damals der Völkerrechtler Antonio Cassese, ehemaliger Präsident des UN-Kriegsverbrechertribunals. Das Gericht habe die Beweislatte für Mittäterschaft "unrealistisch hoch gelegt". Belgrad habe von dem Völkermord gewusst, nichts getan und "General Mladic und Co. doch weiter militärisch und finanziell unterstützt".

Das damalige Urteil der 15 Richter im lauschigen Friedenspalast war fast eine Art posthumer Freispruch für Ex-Staatspräsident Slobodan Milosevic

. Er war vom UN-Kriegsverbrechertribunal auch wegen Völkermordes angeklagt. Doch 2006 war er in seiner Zelle im Nordseebad Scheveningen gestorben, noch vor einem Urteil.
 


Quelle:
dpa