Seit Monaten herrscht ethnische Gewalt im indischen Manipur

Religion ist nur ein Faktor

Im blutigen Konflikt zwischen hinduistischen Meitei und der christlichen Minderheit der Kuki in Manipur ist keine Lösung in Sicht. Die hindu-nationalistische Regierung Indiens tut wenig gegen die Gewalt.

Autor/in:
Michael Lenz
Zerstörte Häuser und ausgebrannte Autos im Juni 2023 in einem Dorf im indischen Manipur / © Open Source/Handout (KNA)
Zerstörte Häuser und ausgebrannte Autos im Juni 2023 in einem Dorf im indischen Manipur / © Open Source/Handout ( KNA )

"Die Stimmung in Manipur ist geprägt von Angst, Unsicherheit, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung", sagt Erzbischof Dominic Lumon. Der Geistliche aus Imphal, der Hauptstadt des ostindischen Bundesstaats, wirft im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) den politisch Verantwortlichen vor Ort wie auch in Neu Delhi Untätigkeit vor. "Das 'Christliche Forum' aus Manipur hat vor einem Monat in einem Schreiben Staatspräsidentin Draupadi Murmu um Hilfe zur Beendigung der Gewalt gebeten. Bisher kam keine Antwort", klagt Lumon.

Sexuelle Übergriffe 

Erst nachdem vor zwei Wochen ein Video bekannt wurde, in dem Angehörige der Meitei mehrere Frauen der Kuki-Minderheit nackt durch die Straßen treiben, äußerte sich auch die indische Regierung zum Konflikt zwischen den beiden Ethnien, die als Hindus und Christen obendrein unterschiedlichen Religionen angehören. Premierminister Narendra Modi verurteilte sexuelle Übergriffe auf Frauen.

Privilegien für die Meitei 

Unmittelbare Ursache der Gewalt war am 3. Mai ein Protest der Kuki gegen die Aufnahme der Meitei in die Kategorie "Gelistete Stämme". Dieser Status gäbe den Meitei, die schon jetzt Wirtschaft und Politik in Manipur dominieren, zusätzliche soziale und wirtschaftliche Privilegien. Die Mehrheit der Kuki gehört protestantischen Kirchen an. Mit 130.000 Gläubigen sind die Katholiken eine christliche Minderheit.

Zusammenleben wird nicht leicht gemacht

Dhiren Sadokpam, ein Meitei, warnt aber davor, die Situation in Manipur nur durch das "Prisma" Ethnie gegen Ethnie, Mehrheit gegen Minderheit, Hindus gegen Christen zu sehen. "Das ist nicht die Realität. Aber niemand nimmt den geopolitischen Aspekt oder die transnationale Dimension des Problems ernst", sagt der Chefredakteur der Tageszeitung "The Frontier Manipur" der KNA. Manipur, das an das Bürgerkriegsland Myanmar grenzt, sei seit vielen Jahren von Militarisierung betroffen. "Für eine so sensible Region gibt es von Neu Delhi bestimmte Regeln, die das Zusammenleben der vielen ethnischen Gruppen im äußersten Osten und Nordosten Indiens nicht fördern. Sowohl Meitei als auch Kuki fühlen sich jeweils bedroht."

Separatisten gegen Regierung 

Manipur und die benachbarten indischen Bundesstaaten wie Nagaland und Mizoram im Nordosten des Landes sind ethnisch und religiös vielfältig. Separatistische Organisationen kämpfen seit der Unabhängigkeit Indiens 1947 gegen die Zentralregierung in Neu Delhi. Statt auf eine politische Lösung setzt sie jedoch auf die Niederschlagung der "Terroristen" durch das Militär.

Manipur ebenos wie Nagaland und Mizoram grenzen an den Chin-Staat in Myanmar; die gleichnamige ethnische Bevölkerung ist mit den Kuki verwandt und ebenfalls überwiegend christlich. Chin ist eines der Zentren des myanmarischen Bürgerkriegs, und viele Chin sind nach Manipur geflohen. Die Meitei heizen mit den üblichen Verdächtigungen gegen Migranten – angeblich Kriminelle, Drogendealer, Terroristen – das angespannte Klima in Manipur weiter an. Indiens ehemaliger Armeechef General M. M. Naravane sieht zudem eine "ausländische Einmischung" in Manipur am Werk. China unterstütze seit Jahren Rebellengruppen, sagte er Ende Juli indischen Medien.

Wiederaufbau und Rückkehr von Vertriebene noch nicht denkbar 

Mehr als 60.000 Menschen wurden in Manipur bereits durch den Konflikt vertrieben, 150 kamen ums Leben. Tausende Häuser der Kuki und mehr als 200 Kirchen wurden angezündet. Solange es keine politische Lösung des Konflikts gebe, so Erzbischof Lumon, seien ein Wiederaufbau und eine Rückkehr der Vertriebenen nicht möglich.

Den Vorwurf vieler indischer Katholiken, die nationale Bischofskonferenz schweige zu der Gewalt in Manipur, weist Lumon zurück. Erst in der vergangenen Woche sei der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Andrews Thazhath, mit einer Delegation in Manipur gewesen, betont Lumon. Außerdem leiste Caritas Indien humanitäre Hilfe.

Frieden und Harmonie für Manipur

Erzbischof Thazhath setzt sich für einen Dialog und die Bewahrung Indiens als säkulares Land ein. Nach dem Besuch in Manipur sagteThazhat der KNA: "Wir fordern alle Parteien auf, in ein Gespräch einzutreten und sich auf die Entwicklung aller gesellschaftlichen Gruppen zu konzentrieren, um Frieden und Harmonie in Indien und insbesondere im Bundesstaat Manipur herbeizuführen."

Katholische Kirche in Indien

Unter den rund 1,38 Milliarden Indern sind die Katholiken mit etwa 18 Millionen nur eine kleine Minderheit. Im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil von unter zwei Prozent ist ihr Einfluss im Land jedoch viel größer. Die Kirche stellt ein Fünftel der schulischen Leistungen, dazu ein Viertel aller Unterstützungsprogramme für Witwen und Waisen und knapp ein Drittel der Versorgung von Lepra- und Aidskranken. Indien ist auch das Land mit den meisten Priesterberufungen weltweit.

Christen in Indien  / © Jaipal Singh (dpa)
Christen in Indien / © Jaipal Singh ( dpa )
Quelle:
KNA