Seelsorger appelliert zur Beruhigung aufgewühlter Seelen

Trost braucht "Zeit und Empathie"

Krisen und Kriege dominieren die Nachrichten. Viele Menschen sind durch gesellschaftliche, aber auch durch persönliche Probleme bedrückt. Wie man Trost spenden und finden kann, erklärt Pfarrer Ulrich Auffenberg.

Symbolbild: Trost spenden / © fizkes (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Sie haben ein Buch über das Trösten und Getröstetwerden geschrieben. Was genau ist Trost? 

Monsignore Ullrich Auffenberg im Gespräch mit Gottesdienstbesuchern. / © Jörg Loeffke (KNA)
Monsignore Ullrich Auffenberg im Gespräch mit Gottesdienstbesuchern. / © Jörg Loeffke ( KNA )

Pfarrer Ulrich Auffenberg (Seelsorger im Bistum Paderborn): Das Buch trägt den Titel "Aufatmen. Trösten und getröstet werden" und bezieht sich auf die hebräische Wurzel des Wortes Trost, was so viel bedeutet wie seufzen, heftig atmen, nach Luft schnappen. Wir atmen circa 20.000 Mal am Tag, und wenn wir es mal ganz bewusst tun und aus dem Bauchraum atmen, dann ist das schon ein Trost, den wir immer bei uns haben. 

Ulrich Auffenberg

"Eine psychische Krise ist immer auch eine spirituelle Krise, weil es die Frage stellt, warum sind wir überhaupt? Warum leben wir?"

Ansonsten richtet sich Trost immer auch auf das Leid hinter dem Leid. Trost kann den Schmerz nicht lindern. Aber Trost kann den Sühnegedanken, die Wertschätzung eines Menschen wieder ansprechen und sein Selbstbewusstsein wieder aufwerten. Denn jede Krise ist nicht nur eine psychische. Eine psychische Krise ist immer auch eine spirituelle Krise, weil es die Frage stellt, warum sind wir überhaupt? Warum leben wir?

DOMRADIO.DE: Trost ist nicht gleichzusetzen mit Hilfe, vor allem aber auch nicht mit vertröstet zu werden. Worin liegt der Unterschied?

Auffenberg: Der Trost richtet sich immer an unsere tiefste Instanz. Es versucht die aufgewühlte Seele ein Stück zu beruhigen. Mit jedem schweren Schicksalsschlag, mit jedem Einbruch, wird auch ein Stück Identität in Frage gestellt.

Ulrich Auffenberg

"Deswegen braucht Trost immer viel Zeit, braucht Empathie, braucht aushalten wollen."

Deshalb geht es nicht darum, Patentrezepte zu vermitteln, sondern um das Verstehenwollen. Vertrösten dagegen bedeutet, sich davonzustehlen, den Leitgedanken nicht auszuhalten, wegzugehen. Deswegen braucht Trost immer viel Zeit, braucht Empathie, braucht Aushaltenwollen.

Beim Vertrösten, gerade im seelsorgerlichen Bereich, ist man schnell dazu verleitet zu sagen, Gott werde es schon richten. Aber dann kommt sofort die Frage, warum lässt Gott das zu? Gott kann etwas nur durch uns ändern. Er hat sich an den Menschen gebunden. Deswegen bin ich als Seelsorger oder Seelsorgerin, als Tröstender immer da, um seine Hilfe weiterzugeben.

DOMRADIO.DE: Was ist Ihrer Erfahrung nach Voraussetzung, damit Trost wirklich tröstend wirken kann?

Auffenberg: Empathie, sich in einen Menschen einfühlen können, hören, all das ist die Voraussetzung für Verstehen, für Empathie. Empathie ist die Voraussetzungsakzeptanz des Menschen. Außerdem ist Treue Voraussetzung, dass ich mich nicht wegstehle, sondern dass ich dranbleibe an einem Menschen. Dass ich Standvermögen habe, dass ich nicht weglaufen will, dass ich einen Zeitraum durchhalten kann. Bonhoeffer hat schon den Satz geprägt: 'Sagen kann ich fast nichts, aber zuhören kann ich, aushalten kann ich'.

Ein Theologe hat mal gesagt, trösten bedeutet, den Schmerz des anderen zu achten und zu ehren, Respekt davor zu haben. Dadurch wertet man die Persönlichkeit des anderen wieder auf, die oft zerbrochen ist.

DOMRADIO.DE: "Wo bleibst du Trost der ganzen Welt, worauf sie all ihr Hoffen stellt". Das singen wir in einem bekannten Adventslied. Welchen Trost verheißt Jesus nach christlichem Glauben?

Auffenberg: Dieses Lied ist von Friedrich Spee 1622 geschrieben worden in der Hochzeit des 30-jährigen Krieges, wo auch Pest und Hexenverfolgung die Menschen unglaublich belastet haben.

Da ist das wie ein Schrei zum Himmel: Wo bleibst du Trost der ganzen Welt? Bei den Menschen, die hinter Schloss und Riegel sind, die dürsten nach einem Tropfen Wasser. Vielleicht bezieht er sich auch auf Jesus, der selbst am Kreuz ruft: 'Mein Gott, warum hast du mich verlassen?' Gerade weil Jesus das durchgestanden hat bis zum Schluss, ist für uns Menschen unter jedem Abgrund noch ein Grund.

Wir können nicht tiefer fallen, als in diesen Grund Gottes hinein. Das ist das Versprechen. Aber auch auf seinem irdischen Weg, auf einem historischen Weg, hat Jesus eine Wanderschaft an den Tag gelegt, von Mensch zu Mensch, von Haus zu Haus. Er war immer tröstend, versöhnend und heilend unterwegs und hat damit ein Modell der Humanität auch für unsere Zeit geliefert.

Ulrich Auffenberg

"Die Kirche sollte alle Potentiale, die sie hat, einsetzen für diese Mensch-zu-Mensch-Begegnung."

DOMRADIO.DE: Sie sagen, entweder wird die Kirche zur Trostgemeinde oder sie wird bald nicht mehr sein. Wie genau meinen Sie das?

Auffenberg: Im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal hat vor Jahren schon Kardinal Marx gesagt, die Menschen glaubten uns nicht mehr. Das heißt, es gibt einen unheimlichen Vertrauensverlust.

Bischof Bätzing hat den Satz geäußert: 'Es geht um eine Erosion der kirchlichen Bindung. Die Kirche hat die Bindung des Menschen verloren, das geht, denke ich, nur in Hinwendung zum Ursprung.'

Eines der ältesten Dokumente der Urgemeinde sagt, dass diese Gemeinde eine Trostgemeinde ist, dass alle Menschen Trost brauchen. Es geht wieder um die Hinwendung zum Ursprung.

Für mich bedeutet das, Kirche muss vor allen Dingen aus einer Mensch-zu-Mensch-Begegnung bestehen: Hausbesuche, Krankenbesuche, Aufbau von kleinen Zellen, von Basisgemeinden, von Graswurzelkirchen. 

Im Moment sind wir so stark mit uns selbst beschäftigt, dass wir diesen Auftrag des Trostes, unter den Menschen unterwegs zu sein, etwas verloren haben. Ich würde sagen, die Kirche sollte alle Potentiale, die sie hat, einsetzen für diese Mensch-zu-Mensch-Begegnung.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Quelle:
DR