Schwester Lea Ackermann zur Razzia gegen Menschenhandel

"Nur eine Momentaufnahme"

In zwölf Bundesländern waren an diesem Mittwoch Polizisten gegen Menschenhandel und Zwangsprositution im Einsatz. Einen "beispiellosen Schlag" nennt es die Bundesregierung. "Doch was geschieht danach?", fragt Schwester Lea Ackermann. 

Bundesweite Razzia gegen Prostitution und Menschenhandel / © Benedikt Spether (dpa)
Bundesweite Razzia gegen Prostitution und Menschenhandel / © Benedikt Spether ( dpa )

DOMRADIO.DE: Inwieweit sind Sie froh über die Aktion?

Schwester Lea Ackermann (Gründerin der Hilfsorganisation Solwodi): Ich bin sehr froh, dass man auf das Thema wiedermal einen Blick wirft. Aber, wenn es nur ein Blick ist und ein momentaner Aufschrei, dann ist das mir einfach zu wenig. 

DOMRADIO.DE: Aber es ist ja immerhin ein Anfang. Es ist die größte Aktion seit Bestehen der Bundespolizei, die gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution stattgefunden hat. 

Schwester Lea: Da möchte ich ein Fragezeichen hintersetzen. Wir in Deutschland haben ja eine Gesetzgebung, die so ist, dass Prostitution als Beruf wie jeder andere angesehen wird. Da wird jede Frau, die in der Prostitution ist, gleich abgestempelt: "Naja, die hat das selbst gewählt. Das ist ja ein Beruf. Damit wollte sie Geld verdienen." Und dann braucht man nicht mehr hinzuschauen. Jetzt hat man wieder hingeschaut, bei dieser Razzia. Mich interessiert: Was geschieht nachher mit diesen Menschenhändlern? 

DOMRADIO.DE: 100 vorläufige Festnahmen und sieben Haftbefehle sind erfolgt. Bundesinnenminister Seehofer nennt die Großrazzia einen "beispiellosen Schlag gegen ein bundesweit verzweigtes Netzwerk" und sagt, dass der sexuellen Ausbeutung in diesem Fall ein Ende gesetzt werden konnte. Sind Sie da nicht seiner Meinung? 

Schwester Lea: Ich freue mich, dass er das so sieht. Wenn er meint, damit wäre ein Ende gesetzt, dann sieht er das aber falsch. Denn es ist nur eine Momentaufnahme aus dem großen Bordell Europas. Deutschland ist seit seiner Gesetzgebung von 2002 das Bordell Europas geworden. Man konnte so viele Bordelle bauen wie man wollte.

Wenn heute diese Razzia durchgeführt wurde, finde ich das bemerkenswert und sehr gut, weil man dadurch ein bisschen von dem Mythos abrückt, dass das ein Beruf ist, den sich jede Frau selbst wählt. Eine Großrazzia ist natürlich was ganz Hervorragendes, aber es muss weitergehen. Es darf nicht gesagt werden: Damit haben wir für die nächsten zehn Jahre wieder alles in Ordnung gebracht. So ist es einfach nicht. 

DOMRADIO.DE: Glauben Sie, dass eine Signalwirkung von diesem Fahndungserfolg ausgehen kann?

Schwester Lea: Nur, wenn es weitergeht. Denn es gab ja auch in früherer Zeit oft Razzien - als es noch eine andere Gesetzgebung gab. Auch damals wurden Menschenhändler festgenommen. Aber es kam kaum mal zu wirklichen gerichtlichen Verfahren. 

DOMRADIO: Von den Verdächtigen, die die Ermittler jetzt im Blick haben, sind 41 Frauen und 15 Männer. Also es sind mehr weibliche Personen, die jetzt als hauptbeschuldigt gelten. Sie sollen Frauen aus Thailand und auch Transsexuelle eingeschleust und zur Prostitution gezwungen haben. Ist das eine neue Entwicklung? 

Schwester Lea: Das ist doch klug eingestielt: Ein Menschenhändler heiratet eine Thailänderin. Und dann bringt er sie selbst in die Prostitution und sagt: Du kannst aufsteigen, wenn Du die anderen überwachst.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

 

Hilfsorganisation Solwodi

Die Ordensschwester und Frauenrechtlerin Lea Ackermann gründete im Oktober 1985 im kenianischen Mombasa die Hilfs- und Menschenrechtsorganisation Solwodi. Die Bezeichnung steht für "Solidarity with Women in Distress" ("Solidarität mit Frauen in Not"). Auslöser war die Situation von Prostituierten. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland ein paar Jahre später baute Ackermann auch hier Solwodi auf; Sitz ist Boppard-Hirzenach in Rheinland-Pfalz.

Die Beratungen und Hilfen richten sich an Frauen und Kinder, die Opfer von Menschenhandel, Prostitution, Zwangsheirat oder häuslicher Gewalt geworden sind. Gemeinsam mit ihnen will die Organisation überlegen, welche Wege aus der Not führen können. Frauen und Kinder erhalten Unterstützung beispielsweise bei Unterbringung, Wohnung, Arbeitssuche und Behördengängen.

Solwodi unterhält nach eigenen Angaben derzeit 18 Beratungsstellen und 8 Schutzwohnungen in Deutschland, jeweils eine Beratungsstelle in Österreich und Rumänien sowie 35 Beratungsstellen und Projekte in Afrika. 2015 haben sich nach eigenen Angaben rund 1.700 Frauen aus 100 Ländern zum ersten Mal an Solwodi in Deutschland gewandt. 

Lea Ackermann †

Die Frauenrechtlerin und katholische Ordensschwester Lea Ackermann ist tot. Die 86-Jährige starb am 31. Oktober 2023 in einem Trierer Krankenhaus, teilte der von ihr gegründete Verein Solwodi in Koblenz mit. 

Für ihren unermüdlichen Einsatz gegen Frauenhandel und Zwangsprostitution erhielt Schwester Dr. Lea Ackermann zahlreichen Ehrungen – unter anderem den Romano-Guardini-Preis und das Große Bundesverdienstkreuz. 1985 gründete sie die Organisation SOLWODI ("SOLidarity with WOmen in DIstress" – Solidarität mit Frauen in Not) in Mombasa/Kenia.

Lea Ackermann / © Thomas Frey (dpa)
Lea Ackermann / © Thomas Frey ( dpa )
Quelle:
DR