Schweigeminute und Gottesdienst in Haltern

Der Schmerz ist derselbe

Ein Jahr nach dem Unglück wird die Trauer noch einmal ganz neu greifbar: In Haltern haben Hunderte Menschen der Opfer des Germanwings-Absturzes gedacht. Nur die Kirchenglocken durchbrachen die bedrückende Stille.

Kerzen vor der Gedenktafel in Haltern / © Monika Skolimowska (dpa)
Kerzen vor der Gedenktafel in Haltern / © Monika Skolimowska ( dpa )

Minutenlang ist in Haltern nichts zu hören außer den Kirchenglocken. Wo eben noch geschäftiges Wochenmarkt-Treiben herrschte, sind die Menschen verstummt. Dicht gedrängt stehen sie auf dem Marktplatz der westfälischen Stadt, füllen auch die kleine Fußgängerzone. Viele halten sich bei den Händen. Junge Menschen mit Tränen in den Augen umklammern Grablichter, die sie mitgebracht haben zum Gedenken an die Freunde, die nie wiederkommen.

Die Stadt hält inne, genau ein Jahr nach der Katastrophe: 149 Menschen riss der Copilot von Germanwings-Flug 4U9525 in diesem Moment vor einem Jahr mit in den Tod. Nirgends klaffte die Lücke so offensichtlich wie in Haltern: 16 Schüler aus einer Jahrgangsstufe und ihre zwei Lehrerinnen vom Joseph-König-Gymnasium starben als der Airbus in den französischen Alpen zerschellte. Sie waren auf dem Rückweg von einer Austauschreise in Spanien. Jetzt ist es wieder der 24. März, 10.41 Uhr.

Hand in Hand in Erinnerung

Während der Gedenkminuten bildet sich um Bürgermeister Bodo Klimpel vor dem Kirchenportal spontan ein Kreis. Hand in Hand erinnern die Menschen an das, was der Bürgermeister das "Schlimmste und Schwierigste" nennt, was dieser Stadt seit dem Zweiten Weltkrieg passiert sei. Und noch eines wird deutlich, wenn man sieht, wie die Bürger auch 12 Monate später zusammenrücken: Die Katastrophe gehört zur Stadtgeschichte. Haltern habe entschieden, das Unglück als Bestandteil der Stadtgeschichte anzunehmen, sagt Klimpel.

Während der anschließenden Andacht in der roten Backsteinkirche St. Sixtus bleibt kein Platz unbesetzt. Auch viele Schüler sind gekommen. Trotz der Osterferien ist ihnen die gemeinsame Trauer wichtig. Die beiden Pfarrer wollen auch den vielen Angehörigen ein Zeichen senden, die nach Le Vernet in die Nähe der Unglücksstelle geflogen sind. 

Eine Lücke, die sich nicht ausfüllen lässt

"Der Schmerz ist derselbe wie vor 366 Tagen", sagt der katholische Pastoralreferent Hans-Jürgen Ludwig zu Beginn des Gottesdienstes, "geändert hat sich das Leben mit ihm". Trauer brauche Räume, Orte und Zeiten. Der Tod habe eine Lücke gerissen, die sich nicht ausfüllen lasse, sagt der evangelische Pfarrer Karl Henschel. Das müsse man aushalten. Mit einem Verweis auf ein Zitat des Theologen Dietrich Bonhoeffers sagt er: "Wenn die Lücke unausgefüllt bleibt, ist man weiterhin miteinander verbunden". Das vergangene Schöne trage man nicht mehr wie einen Stachel, sondern wie ein Geschenk in sich.

Auf den Stufen vor dem Altar brennt ein Meer von Kerzen. Auf dem Boden dahinter sind bunte Tücher drapiert und 18 weiße Lilien mit weißen Schleifen stehen im Altarraum. Wie vor einem Jahr werden die Namen einzeln, langsam und andächtig vorgelesen.

"Du bist immer da"

Ein Zitat aus dem Fürbittenbuch vom September 2015 rührt viele Teilnehmer zu Tränen: "Kleine Momente werden wichtig. Dein Lächeln, das aus dem Unterbewusstsein plötzlich da ist." Erst wenn man etwas verloren habe, verstehe man, wie wertvoll es war. "Wir werden nie mehr mit Dir in Urlaub fahren, aber Du bist immer da."

Die Halterner Trauergemeinde gedenkt zudem auch der Angehörigen, die an diesem Tag an Trauerfeiern in Frankreich teilnehmen. "Wie weit die Entfernung auch ist: Unsere Gedanken bilden eine Brücke", sagt Hans-Jürgen Ludwig. Die Trauer bleibe, erklärt Pfarrer Henschel, auch wenn nun jeder auf seine Art versuche, das Leben neu zu sortieren. "Trauer macht Erinnerung lebendig und kostbar."

Stählerne Gedenktafel auf dem Schulhof

Haltern und das Joseph-König-Gymnasium traf die Unglücksnachricht an einem fast schon frühlingshaften Tag vor einem Jahr mit gewaltiger Wucht. Viele kannten die Toten, waren im selben Verein, machten gemeinsam Sport, kennen die trauernden Familien. Es dauerte nur wenige Stunden, da waren die Betonstufen auf dem Schulhof zu einem Meer aus Kerzen und Blumen geworden.

Das Joseph-König-Gymnasium wurde zu einem Ort, an dem Halterns Bürger in den Stunden von Fassungslosigkeit und Trauer immer wieder zusammenfanden. Inzwischen erinnert auf dem Schulhof eine stählerne Gedenktafel an die Toten. Jeden Tag brennt hier eine riesige Kerze.

Am Jahrestag sind viele weitere dazu gekommen. Schüler und andere Bürger, die nicht vergessen wollen, legen frische Blumen nieder. Zwischen zwei Bäumen haben sie eine Girlande mit bunten Wimpeln gespannt. Darauf geschrieben ihre Botschaften an die Toten: "Immer in unseren Herzen" steht darauf. Oder: "Mama und Papa vermissen dich unendlich."


Quelle:
dpa , epd