Katholisches Büro Erfurt zur Wahl Ramelows in Thüringen

"Schwamm drüber allein reicht jetzt nicht"

"Die Parteien müssen zeigen, dass es ihnen wirklich um Thüringen geht", fordert der Leiter des Katholischen Büros Erfurt nach der Ministerpräsidentenwahl. Es gehe darum, Vertrauen wiederzugewinnen und Sachfragen anzugehen. 

Der Landtag in Thüringen / © Michael Reichel (dpa)
Der Landtag in Thüringen / © Michael Reichel ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sind Sie nach der Wahl Ramelows erstmal erleichtert?

Claudio Kullmann (Leiter des Katholischen Büros Erfurt): Ich war ja auch gestern wieder dabei, als die Wahl im Landtag vollzogen wurde, und die Erleichterung ist tatsächlich sehr groß. Diese Belastung, keine arbeitsfähige Regierung zu haben - noch dazu wochenlang in einem politischen Schwebezustand zu sein - ist gestern sichtlich von vielen abgefallen, die hier in Thüringen Politik machen und sie begleiten. Und ich glaube, es ist einhellige Meinung, dass es gut ist, dass wir nun wieder eine funktionierende Landesregierung haben, damit die politische Sacharbeit einfach wieder losgehen kann.

Es gibt so viele Fragen, die wir wirklich klären müssen: Im Bildungsbereich muss zum Beispiel die Finanzierung der Schulen in freier Trägerschaft neu geregelt werden und vieles andere mehr. Und es ist auch gut, dass die Politik in Zeiten, wo die Menschen von Corona und Co. schon genug aufgescheucht sind, Stabilität und Handlungsfähigkeit vermitteln kann.

DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns nochmal auf ein Detail gestern schauen: Bodo Ramelow hat nach der Wahl Björn Höcke den Handschlag verweigert und das damit begründet, Höcke schade der Demokratie. Finden Sie das richtig oder bestärkt Ramelow da nicht vielleicht die AfD noch in Ihrer Opferhaltung?

Kullmann: Ja, so kann man das sehen. Ich bin natürlich nicht in der Position, dass letztgültig zu beurteilen. Aber offensichtlich hatte der Ministerpräsident sich diese Geste wohl überlegt und hatte eine schlüssige Begründung. Sonst hätte er dann ja nicht danach sehr lange mit Herrn Höcke gesprochen. Mit der Opferrolle haben sie natürlich recht. Andererseits: Die Begründung, die der Ministerpräsident geliefert hat, hatte auch etwas für sich.

DOMRADIO.DE: Sie haben das gerade schon angedeutet. Das waren ja wirklich dramatische Ereignisse in den zurückliegenden Monat. Das Ganze hat dann nicht nur den FDP-Politiker Thomas Kemmerich den Job gekostet, sondern im Endeffekt auch Annegret Kramp-Karrenbauer und Mike Mohring von der CDU. Was bleibt jetzt? Ein politischer Scherbenhaufen?

Kullmann: Die Parteien müssen natürlich jetzt zuallererst zeigen, dass sie in den nächsten Monaten gewillt sind, zusammenzuarbeiten. Wir haben ja heute genau dieselben unklaren Mehrheitsverhältnisse, wie wir sie schon vor einem Monat hatten und schon länger. Die Parteien müssen jetzt zeigen: Es geht ihnen wirklich um Thüringen. Sie müssen bereit sein, Lösungen zu finden für die drängenden Fragen, die wir haben. Sie dürfen sich nicht in ideologischen Gräben verschanzen.

Und sie müssen den Menschen auch zeigen: Wir wollen verlässlich bis zu möglichen Neuwahlen im nächsten Jahr zusammenarbeiten und nicht bei jeder kleinen inhaltlichen Differenz wieder die Grundsatzfrage stellen. Das wird viel Demut und Disziplin erfordern. Aber nur so, finde ich, werden die Menschen das Vertrauen in die Parteien und unsere bewährten politischen Strukturen nicht verlieren. Und nur so werden auch die Politiker untereinander sich wieder mehr vertrauen können.

DOMRADIO.DE: Sie selbst sitzen ja an der Schnittstelle zwischen Politik und Kirche. Wo sehen Sie jetzt die Aufgaben der Kirchen?

Kullmann: Heute Morgen war wieder die ökumenische Morgenandacht vor der Plenarsitzung. Dort habe ich heute über eine Stelle in der Apostelgeschichte gepredigt, den Schiffbruch des heiligen Paulus vor Malta. Paulus sagt dort: Wir werden zwar das Schiff mit allem Drum und Dran verlieren, aber nicht unser Leben. Und wir können auch den größten Schiffbruch mit Zuversicht zum Guten wenden.

Vielleicht können wir in unserem direkten Kontakt mit den Politikern etwas von dieser Zuversicht verbreiten - auch in der Hinsicht, dass Vergebung möglich ist, dass zerstörtes Vertrauen wieder wachsen kann, wenngleich das viel Arbeit erfordert. Mir ist als kirchlicher Vertreter immer auch wichtig, in die Kirche hinein zu kommunizieren, dass wir uns für die Demokratie und unsere Lebenswelt ganz genauso einsetzen müssen. Das funktioniert ja nicht von allein. Das kann man auch nicht allein von dafür bezahlten Politikern machen lassen. Wir erfüllen die Demokratie mit Leben. Wenn wir das ein bisschen mehr verinnerlichen, haben wir schon viel erreicht.

DOMRADIO.DE: Jetzt überwiegt erstmal Erleichterung. Aber natürlich ist das kommende Frühjahr auch nicht allzu weit weg. Dann wird neu gewählt. Was muss in Ihren Augen passieren, damit am Ende nicht wieder die AfD profitiert?

Kullmann: Das ist eine sehr schwierige Frage. Wenn man mit Politikerinnen und Politikern spricht - und ich bin derselben Meinung - hört man einhellig: Schwamm drüber allein reicht jetzt nicht. Es hat in den letzten Wochen viele Verletzungen gegeben. Viele haben auch persönliche Enttäuschungen erlebt, und das geht nicht spurlos an den Menschen vorbei.

Politiker sind ja keine Maschinen. Für die ganz praktische Arbeit im Landtag und drumherum braucht man ja eine Art Grundvertrauen, auch in den politischen Gegner. Man muss in etwa einschätzen können, wie er oder wie sie sich verhalten wird. Was wird gehen, was wird nicht gehen? Das hat schon einen großen Knacks bekommen. Und es ist eine ganz wesentliche Aufgabe bis zu den Neuwahlen - so sie denn kommen -, dieses Grundvertrauen in unsere Institutionen und die Menschen, die sie füllen, wiederherzustellen. 

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Ministerpräsident Bodo Ramelow / © Martin Schutt (dpa)
Ministerpräsident Bodo Ramelow / © Martin Schutt ( dpa )
Quelle:
DR