Schützen Staat und Kirche gemeinsam das religiöse Erbe?

Bischöfe starten Initiative

Das Fanal des Großbrandes von Notre-Dame hat in Frankreich einiges an Denkmalschutz-Initiativen in Gang gesetzt. Der angeschlagene Präsident Macron versucht mit dem Thema zu punkten. Auch die Bischöfe starten eine Offensive.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Notre-Dame in der Abendsonne / © Corinne Simon (KNA)
Notre-Dame in der Abendsonne / © Corinne Simon ( KNA )

Emmanuel Macron muss Boden gut machen. Mit seiner unpopulären Rentenreform, die er gegen alle Demonstrationen und Streiks durch das Parlament drückte, hat er es sich mit Millionen Franzosen verscherzt. Nun muss er versuchen, auf anderen Politikfeldern und mit kleinen Erfolgen zurückzukommen in die Bürgergunst.

Auch für die Katholiken hält der Präsident ein Zückerchen bereit: Vor wenigen Tagen verkündete er eine Offensive zur Rettung des religiösen Erbes im Land. Ein Feld, das auch Frankreichs Bischöfe derzeit intensiv beackern.

Papst Franziskus empfängt den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron zu einer Audienz im Vatikan / © Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus empfängt den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron zu einer Audienz im Vatikan / © Romano Siciliani ( KNA )

Der Anlass war gut gewählt: eine internationale wissenschaftliche Konferenz zu "1.000 Jahre Mont Saint-Michel 1023-2023" - jenes mystischen Klosterberges also, der zu Frankreichs stärksten Touristenmagneten gehört. Der Präsident reiste selbst in die Normandie, mit Ehefrau und Ministern, für Fotos vor symbolträchtiger Kulisse.

350 Millionen Euro für Sanierung

Blumig sprach er von einem "Symbol für den französischen Geist von Widerständigkeit, Kreativität und Fantasie".

Schon seit 2017 sei das Kulturerbe eine Priorität von Macrons Kulturpolitik, heißt es aus dem Umfeld des Präsidenten. Erinnert wird an einen 350 Millionen Euro teuren Sanierungsplan für die Restaurierung von Denkmälern und Kathedralen; an den persönlichen Einsatz zum Wiederaufbau nach dem Großbrand von Notre-Dame; an die 2017 ins Leben gerufene Kulturerbe-Lotterie auf Initiative des TV-Moderators Stephane Bern, mit der schon viele gefährdete Monumente unterstützt wurden.

Macrons neue Ankündigungen folgen teilweise den Empfehlungen eines Berichts des französischen Senats zum religiösen Erbe vom Juli 2022. Dieser verlangt - neben verstärktem Einsatz - zuvor eine systematische landesweite Bestandsaufnahme und Kartierung bis 2030.

Kirchen als Steinbrüche

Die Französische Revolution 1789 und ihre Folgen haben unzählige Bauten des Ancien Regime in Frankreich verwüstet und dem Verfall preisgegeben: Kirchen und Klöster wurden als Steinbrüche verwandt oder zu Viehställen, Munitionsdepots und Fabriken degradiert. Schlösser, Paläste und Adelssitze wurden geplündert, angezündet, verwohnt. Auch nach den Wiederherstellungen des 19. Jahrhunderts brauchen sie weiter Pflege.

Für die religiösen Gebäude ist die Lage besonders speziell. In Frankreich gibt es keine Kirchensteuer; Haupteinnahmequelle der Kirchen sind Spenden. Die Baulast für historische Kirchengebäude liegt allerdings ohnehin beim Staat - der seiner Verpflichtung aber oft nicht auf allen Ebenen nachkommt.

Ein Ausflugsboot fährt über die Seine an der Kathedrale Notre-Dame in Paris vorbei / © Corinne Simon (KNA)
Ein Ausflugsboot fährt über die Seine an der Kathedrale Notre-Dame in Paris vorbei / © Corinne Simon ( KNA )

Derzeit sind von rund 50.000 religiösen Gebäuden, die dem Gottesdienst dienen - darunter 42.000 katholische - nur gut 10.000 denkmalgeschützt. Konservatorisch eher wenig im Blick sind die Masse der Bauten aus dem 19. und 20. Jahrhundert - die zuletzt bei Kunsthistorikern erst im Ansehen aufholen mussten.

500 Gotteshäuser vom Verfall bedroht

Wegen des französischen Gesetzes von 1905 zur Trennung von Staat und Kirche liegt die Instandhaltung religiöser Gebäude größtenteils in der Verantwortung der Kommunen - die damit finanziell in Schwierigkeiten geraten können, vor allem in ländlichen Regionen.

"Das Schicksal vieler Dorfkirchen in schlechtem Zustand hängt ganz vom Erhaltungswillen der dortigen Gemeinschaft ab", so der Journalist und Denkmalpfleger Benoit de Sagazan. Er beziffert die Zahl der von totalem Verfall bedrohten Gotteshäuser auf landesweit rund 500. Allerdings bedürften viele weitere dringender baulicher Maßnahmen.

Macron beauftragte nun das Kultur- und das Innenministerium, ihm bis September gezielte Maßnahmen für Kommunen mit weniger als 10.000 Einwohnern in schwieriger Finanzlage vorzuschlagen. Als Instrumente stehen vor allem Steuersenkungen für und Abschreibungen von Restaurierungsarbeiten sowie eine steuerliche Absetzbarkeit von entsprechenden Spenden im Raum. Letztere Stellschraube wurde bereits nach dem Brand der Pariser Kathedrale Notre-Dame 2019 gedreht.

Eine Stiftung für religiöses Erbe

Ohnehin hat gerade dieses tragische Ereignis dafür gesorgt, dass der Wind für Denkmalschutzinitiativen derzeit vergleichsweise günstig steht: Schmerz und Schock über den Verlust ließen landesweit viele Portemonnaies aufgehen. Hunderte Millionen Euro wurden für den Wiederaufbau zugesagt. Schwindel erregende Zahlen - die bei anderen Denkmalfreunden auf dem Lande aber auch Zähneknirschen auslösten, die schon auf kleine Summen für ihre Gebäude lange sparen müssen.

Die Ankündigungen des Präsidenten jedenfalls werden von der katholischen Kirche ausdrücklich begrüßt. Allerdings verspricht sich Gautier Mornas, Kunstbeauftragter der Französischen Bischofskonferenz, von einmaligen Steuervergünstigungen einen eher kurzfristigen Erfolg.

Lieber sähe man vonseiten der Kirche die Gründung einer Stiftung für religiöses Erbe, die den Ansatz längerfristig im öffentlichen Bewusstsein verankern könnte, sagte Mornas der Zeitung "La Croix".

Kirche geht bei Denkmalschutz in Offensive

Über den dringlichen Bereich der staatlichen Inventarisierung religiöser Gebäude richtet der Geistliche den Fokus auch auf die Mobilien, also auf religiöse Kunstwerke und Geräte, sowie auf das immaterielle religiöse Erbe, etwa kirchliches Brauchtum und Traditionen.

Und die Kirche fordert nicht nur, sondern geht beim Denkmalschutz selbst in die Offensive: Am Mittwoch startet sie ein langfristig angelegtes Projekt, das sie in Anlehnung an die historische Beschlussversammlung als "Generalstände" bezeichnet: Alle Bistümer Frankreichs sollen ab September bis Anfang 2024 die Verzeichnisse, Kataloge, Inventare ihrer Fachkommissionen auf nationaler Ebene zusammenführen und vereinheitlichen.

Mit der gemeinsamen Kenntnis von Zahlen und Akteuren soll auch die große Menge an Expertise vor Ort besser nutzbar werden. Dies empfiehlt sich nicht nur angesichts der stetig zunehmenden Diebstähle und Vandalismus-Fälle in Dorf-, aber auch Stadtkirchen. Auch die Frage alternativer Nutzungen von kirchlichen Gebäuden - etwa als Pilgerunterkünfte, Suppenküchen oder Ankerpunkte für Kunst- und Kulturveranstaltungen - soll so mehr Perspektive bekommen; auch wirtschaftlich.

Quelle:
KNA