In Schrittgeschwindigkeit durchs Heilige Land

Wandern in den Fußspuren Jesu

Die wichtigsten Stationen im Leben Jesu zu besuchen hat bei Pilgern Tradition. Der "Jerusalemweg" führt durch die Wiege des christlichen Glaubens. Eine Reise von Nazareth über den See Genezareth bis Jerusalem - zu Fuß statt im Reisebus.

Autor/in:
Elisabeth Schomaker
Pilger im Naturschutzgebiet Wadi Qelt (KNA)
Pilger im Naturschutzgebiet Wadi Qelt / ( KNA )

Es ist kurz nach fünf Uhr morgens. Die Sonne ist noch nicht aufgegangen, und leichter Nebel liegt über den Bergen Galiläas, als wir unsere Wanderschuhe schnüren und die schweren Rucksäcke schultern. Die erste Etappe der "spirituellen Wanderung entlang der Lebensstationen Jesu" führt uns vom Kibbuz Lavi bei Nazareth, der Heimat Jesu, bis zum See Genezareth.

Pilgerreisen ins Heilige Land haben seit Jahrhunderten Tradition. Aus gutem Grund, meint Georg Roessler, der die Gruppe führt: "Jesus ist an einem bestimmten Ort Mensch geworden. Die Landschaft hier ist ganz zentral für das Verständnis der Bibel und die Botschaft Christi."

"Fünftes Evangelium"

Schon Kirchenvater Hieronymus beschrieb im 4. Jahrhundert die Landschaft des Heiligen Landes als "fünftes Evangelium". Der Benediktiner Bargil Pixner schreibt: "Fünf Evangelien schildern das Leben Jesu: vier findest du in den Büchern - eines in der Landschaft. Liest du das fünfte, eröffnet sich dir die Welt der vier."

Der "Jerusalemweg" verbindet die Highlights verschiedener Pilgerwege mit dem Besuch der heiligen Stadt. "Er zeichnet das Leben Jesu nach, seine Mission und Passion", erklärt Roessler. Natürlich könne man das Land auch mit dem Bus bereisen, so der Pilgerführer. Zu Fuß sei die Erfahrung jedoch viel intensiver. Also werden wir in den kommenden Tagen in den Fußspuren Jesu gehen. Wir folgen ihm nach, Schritt für Schritt.

"Ausgetretene Wege verlassen"

Während wir wandern, wird es langsam hell über den fruchtbaren Feldern Galiläas. Mit Tau behangene Spinnennetze glänzen in der Morgensonne. Der kleine Trampelpfad ist fast zugewachsen. Mannshohe Dornen ragen in den Weg und zerkratzen unsere nackten Arme und Beine. "Pilgern heißt wörtlich 'sich über den Acker machen', ausgetretene Wege verlassen, Neuland betreten", hatte Roessler noch am Abend zuvor gesagt. Der Theologe und Judaist ist vor über 30 Jahren vom Rheinland nach Israel ausgewandert und hat zusammen mit einem Partner die Firma SK Tours in Nature aufgebaut, die sich auf Natur-, Wüsten- und Wanderreisen spezialisiert hat.

Wir machen Pause und trinken frischen Pfefferminztee. Dazu gibt es Bibelkunde von Roessler: "Jesus ist zunächst nur einer von vielen und lebt ein ganz beschauliches Leben in Nazareth." Doch irgendwann kippt dieser Nobody alle Sicherheiten und macht sich auf den Weg - scheinbar völlig sinnlos." Für den nächsten Teil der Strecke gibt uns der Guide eine Frage mit auf den Weg, die jeder für sich selbst beantworten soll: "Warum bricht Jesus auf? Wofür brennt er? Und wofür brennst du? Wofür stehst du morgens auf?"

Gedankenverloren und schweigend wandern wir weiter, hinauf in die Berge Galiläas. Vorbei an alten Olivenhainen, in denen wilde Kühe grasen, kommen wir ins Tal der Tauben. Steile Klippen ragen aus einem Meer grüner Bäume heraus. Überall blühen Disteln in knalligem Lila - kleine Farbtupfer vor grauem Gestein. Wir setzen unsere Spurensuche am Nordufer des Sees Genezareth fort. Wer früher einen halbwegs ordentlichen Kindergottesdienst abbekommen habe, so Roessler, werde wissen, dass Jesus hier zahlreiche Wunder bewirkt hat. "Hier beginnt die Mission Christi: Der Nobody wird zum Somebody und spricht zu den Menschen. Die Menschen sind begeistert von seiner Botschaft und von seinen Wundertaten."

Kühles Bad im See

Viele der bedeutenden Stätten sind nur einen Steinwurf voneinander entfernt: Tabgha, der Ort der Brotvermehrung, Kapernaum, der Ort aus dem einige der Jünger kommen, und der Berg der Seligpreisungen, auf dem Jesus die berühmte Bergpredigt gehalten hat. Reihum lesen wir Auszüge aus den Evangelien vor, bevor wir unsere müden Muskeln bei einem Bad im See kühlen. Am Abend fahren wir mit dem Bus zum Toten Meer. Es gehe nicht darum, die komplette Strecke zu Fuß zurückzulegen, erklärt Roessler. Einige Teilabschnitte seien wegen des hohen Verkehrs nicht zum Wandern geeignet. Außerdem fehle den meisten die Zeit, mehrere Wochen zu pilgern.

Vom Toten Meer aus durchqueren wir in zwei Tagen die judäische Wüste und das Wadi Qelt und laufen auf Jerusalem zu. Gegen vier Uhr morgens - es ist noch stockdunkel - brechen wir auf, um einen Teil des Weges schon in den kühlen Morgenstunden zurückzulegen. Gerade noch rechtzeitig erklimmen wir die steilen Felshänge am Rande der Wüste und sehen die Sonne über dem Toten Meer aufgehen. Wir ziehen weiter, vorbei an Nabi Musa, einem alten Beduinengrab, das als das Grab des Propheten Moses verehrt wird. Die bizarren Steinformationen der Wüste entführen in eine andere Welt. Um uns herum nur Felsen, Stille und flirrende Hitze. Nach Stunden in der Wüste sehnen wir uns nach einer Pause - und nach Schatten. Dann endlich die Erlösung: Nahe der antiken Zisterne Bir el Malki teilen wir uns unter einem Felsvorsprung einen schmalen Streifen Schatten mit einer Ziegenherde und Schäferhunden.

Zu sich selbst kommen

In der Bibel gilt die Wüste als lebensfeindlicher Raum, aber auch als Ruheort, an dem das Volk Israel und auch Jesus immer wieder ihrem Gott nahe gekommen sind. Auch das christliche Mönchstum hat seine Wurzeln in der Wüste. Ihre Stille bietet Raum für Gebet. Bis heute suchen Menschen die Wüste auf, um zu sich selbst zu kommen. Sie ist ein Urbild der Erneuerung. "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst - die Wüste macht das Gebot greifbar", so Roessler. "Man muss auf den anderen Acht geben und ihm die Hand reichen, wenn es nicht weitergeht."

Am nächsten Tag wandern wir durch das Wadi Qelt weiter auf Jerusalem zu. Wo sich nach starken Regenfällen schon mal vorübergehend ein reißender Fluss durchs Gestein frisst, fließt heute nur ein kleines Rinnsal. Trotzdem wuchert meterhohes Schilf im Flussbett und zieht sich wie ein grünes Band durch die Wüste. Auf den schroffen Felsen wachsen Blumen, und es duftet nach wildem Salbei. Die Wüste lebt.

Als wir nach drei Wandertagen Jerusalem erreichen, rasten wir auf dem Ölberg im Schatten eines knorrigen Olivenbaums und blicken auf die heilige Stadt hinab. Weit in der Ferne glänzt die goldene Kuppel des Felsendoms. Wie einst Jesus an Palmsonntag ziehen wir über den Ölberg in Jerusalem ein. Wir pilgern zum Abendmahlssaal, wo er am Vorabend seines Todes mit den Jüngern das Abschiedsmahl feierte, und wir besuchen den Garten Getsemani, in dem Jesus vor seiner Kreuzigung betete, ehe er verraten und verhaftet wurde. Immer Zeit für Besinnung. Zeit für Gebet. Über die Via Dolorosa nähern wir uns Schritt für Schritt dem ultimativen Pilgerziel: dem leeren Grab in der Grabeskirche. Hier ist der zentrale Glaubensinhalt des Christentums lokal verankert: Gottes Sohn ist Mensch geworden und wie ein Mensch gestorben. Doch er hat den Tod überwunden und ist von den Toten auferstanden. Wir sind am Ziel.

Pilgerwandern im Heiligen Land

Pilgerwanderwege:

Israel und Palästina sind durchzogen von verschiedenen Wanderwegen. Für Pilgerwanderreisen eignen sich vor allem der "Gospel Trail", "Jesus Trail" und "Jerusalem Trail". Die Wege überschneiden sich teilweise, legen aber andere Schwerpunkte.  "Gospel Trail" und "Jesus Trail" sind jeweils rund 60 Kilometer lang und führen auf leicht voneinander abweichenden abweichenden Strecken von Nazareth zum See Genezareth. Beide Wege können an drei bis vier Wandertagen zurückgelegt werden. Schwerpunkt des "Gospel Trails" ist die Landschaft Galiläas. Der "Jesus Trail" führt zu bedeutenden christlichen Stätten. Der "Jerusalem Trail" ist ein 42 Kilometer langer Rundweg durch und um Jerusalem herum. Der Weg, der größtenteils markiert ist, führt unter anderem durch die Altstadt Jerusalems, das Kidron-Tal, auf den Ölberg und nach Yad Vashem.

Reiseveranstalter:

Geführte Gruppen- und Einzelreise können bei verschiedenen Reiseanbietern gebucht werden. Einige Reiseanbieter, wie die Firma "SK Tours in Nature", bieten Pilgerwanderungen durch Israel und Palästina mit deutschsprachigen Guides an, etwa für Kirchengemeinden und Studienkreise. Dabei können Teilabschnitte der verschiedenen Trails kombiniert werden. Auch eine Durchquerung der judäischen Wüste ist möglich. Reisende können in Hotels oder auf Wunsch bei israelischen und palästinensischen Familien sowie in christlichen Gästehäusern untergebracht werden.


Die Olivenbäume im Garten Gethsemane in Jerusalem  (dpa)
Die Olivenbäume im Garten Gethsemane in Jerusalem / ( dpa )

... der Grabeskirche in Jerusalem / © Bernd Weißbrod (dpa)
... der Grabeskirche in Jerusalem / © Bernd Weißbrod ( dpa )
Quelle:
KNA