Schriftsteller Richard Wagner über den Beginn der rumänischen Revolution vor 20 Jahren

"Ein Bürgerkrieg drohte"

Vor 20 Jahren wurden in Temesvar erste Proteste gegen Diktator Nicolae Ceausescu blutig niedergeschlagen - doch sie waren der Beginn der rumänischen Revolution. "Die Bevölkerung litt enorm unter Ceausescu", sagt Richard Wagner. Im domradio-Interview blickt der rumäniendeutsche Schriftsteller auf den bewegten Dezember 1989 zurück.

 (DR)

domradio: Was war der Wende in Rumänien vorangegangen?
Wagner: In Rumänien war es fast eine Verzweiflungstat, eine Hungerrevolte. Dem vorausgegangen ist eine ganz schlimme Situation. In Rumänien hat ja eine gegenläufige Entwicklung stattgefunden zu den anderen osteuropäischen Ländern, wo der Kommunismus sich langsam zerfaserte, seine Autorität verlor und eher zum Chaos eignete. Während in Rumänien selber eine Re-Stalinisierung stattgefunden hatte und eine Familien-Diktatur von den Ceausescus installiert worden ist, und die sich maoistischer Rituale bediente. Und die Bevölkerung litt enorm darunter.

domradio: Wie kam es zum Sturz Ceausescus?
Wagner: Verschiedene Interessensgruppen waren da beteiligt. Zunächst einmal aber war es der Volkszorn und die Geduld, die allgemein am Ende war. Und natürlich gibt es in einer solchen Situation, in der eine führungslose Masse auf der Straße ist - denn es gab keine Führungsfiguren - Interessensgruppen aus der herrschenden Schicht, die sich von Ceausescu trennen wollten - um selber an der Macht bleiben zu können.

domradio: Noch kurz vor seinem Tod hielt Ceausescu eine umjubelte Rede - warum?
Wagner: Das war ein großer Fehler, den er begangen hatte. Er wollte sich feiern lassen und dachte, er könne die Situation noch mal in den Griff bekommen. Doch dann entstand die paradoxe Situation, dass der Jubel umkippte. Wahrscheinlich waren dort auch Menschen, die das als Provokation einsetzten, das weiß man nicht genau. In solchen historischen Augenblicken passiert sehr viel - auch sehr viel Ambivalentes. Jedenfalls in dem Moment, in dem er vom Dach des ZK geflohen ist mit dem Hubschrauber, war seine Macht endgültig beendet. Und die Bevölkerung hat diesen Zorn, den sie hatte, eben umgesetzt in einen unendlichen Hass auf dieses Paar. Man forderte praktisch ihren Tod.

domradio: Am 25. Dezember wurde Ceausescu hingerichtet. Mit welcher Begründung?
Wagner: Die Begründung war ihre Willkürherrschaft und dass sie verantwortlich seien für Tausende Tote, man sprach damals von 60.000 Toten, eine übertriebene Zahl: das Land war voller Gerüchte, die Leute neigten dazu, alles Mögliche zu glauben. Die Angst, dass es einen Bürgerkrieg geben könnte, war nicht unberechtigt, viele Waffen waren im Umlauf. Und da hat eine kleine Gruppe von Leuten, die die Macht in diesem Chaos ausübten, in einem Verfahren verurteilt, das grotesk und lächerlich war, rechtsstaatlich war das nicht. Aber das war die Situation.

domradio: Wie lange dauerte es, ehe wieder Ruhe ins Land einzog?
Wagner: Das hat noch eine ganze Weile gedauert. Nach ein bis zwei Wochen ist ein bisschen Normalität eingekehrt. Und dann kam es noch im Frühjahr zu Konflikten in Siebenbürgen mit der ungarischen Minderheit, es gab Konflikte mit der Jugend, mit den Studenten, die eine Dauerkundgebung in Bukarest eingerichtet hatten vor der Universität. Erst im Sommer hat sich dann eine etwas überschaubarere Situation eingestellt, die aber dazu geführt, dass große Teile der alten in die neue Elite mit eingeflossen sind.

domradio: Wie beurteilen Sie heute die Lage im Land?
Wagner: Rumänien hat heute sehr wenig mit dem Rumänien von 1989 zu tun, heute lebt man dort ganz anders als damals. Aber es ist noch sehr weit weg von der Normalität, die es als EU-Land haben müsste. Und außerdem sind sehr viele der alten Geheimdienstleute in Politik und Wirtschaft eingesickert und spielen bis heute eine wichtige Rolle, bzw. ihre Clans, Familien und Seilschaften. So dass Rumänien zu den korruptesten und unzuverlässigsten Ländern in der EU heute gehört.

Das Gespräch führte Monika Weiß.