Schrein der "Seherin" in Nevers zieht jährlich Hunderttd. an

Zwischenstation auf dem Weg nach Lourdes

Ein bisschen schimmert das Gefühl, zu Unrecht im Abseits zu stehen, bei den Ordensfrauen in Nevers schon durch.

 (DR)

Millionen Pilger jährlich besuchen den südwestfranzösischen Marienwallfahrtsort Lourdes, wo Bernadette Soubirous vor 150 Jahren ihre Erscheinungen der Gottesmutter hatte.  Nach Nevers, wo Bernadettes Leben zu Ende ging und sie begraben liegt, kommen weit, weit weniger. Einen Großteil ihres Lebens hat Bernadette in Nevers verbracht, am westlichen Rand des Burgund. Dort schloss sie sich 1866 den Barmherzigen Schwestern an, arbeitete 13 Jahre vor allem als Krankenpflegerin. Im Garten wurde sie auch in einer kleinen Kapelle beigesetzt, bis nach ihrer Heiligsprechung ihr Leichnam in die Kirche des Klosters überführt wurde.

200.000 bis 300.000 Pilger zieht es jährlich hierher. Sie besuchen die Kirche, den Schrein, in dem der Leichnam der Seherin hinter Glas aufgebahrt ist. Das Gesicht wird von einer wächsernen Maske bedeckt, die die Züge der Heiligen trägt. Die Maske verhüllt, dass die Haut Bernadettes sich nach ihrem Tod schwärzlich färbte. Doch ansonsten, so versichert Schwester Denise Saint-Amans, ist der Leichnam völlig unversehrt.

Ein Wunder will die Leiterin der Wallfahrtsstätte am Rande der Innenstadt von Nevers den unverwesten Leichnam nicht nennen. Auch nicht die Erscheinungen machten aus Bernadette eine Heilige. "Als Grund für die Heiligsprechung akzeptierte der Vatikan das Leben, das Bernadette hier in diesem Kloster führte", wiederholt sie dagegen mehrfach.

Ein kleines Museum berichtet darüber. Es erzählt, wie Bernadette 1866 im Kloster eintraf, nur mit Regenschirm und Reisetasche, und wie sie dort lebte. Handarbeiten sind ausgestellt, die sie verfertigte, Schriften, die sie verfasste. Die Apothekerwaage, mit der sie Medikamente auf der Krankenstation abwog.

Nur noch sechs Schwestern leben heute im Mutterhaus der 1680 gegründeten Gemeinschaft in Nevers. Die große Anlage aus dem 19. Jahrhundert steht als Gästehaus Reisenden offen. Kaum mehr als 20 Euro kostet die Übernachtung pro Person im Doppelzimmer.
Spartanische Zellen mit sanitären Anlagen auf dem Gang erwarten die Gäste. Halb- und Vollpension sind möglich, und das Essen ist gut. Traditionelle Hausmannskost aus dem Burgund und Zentralfrankreich kommt auf den Tisch. Rillettes und Pate als Vorspeise. Geschmorte Perlhuhn-Schenkel und Bohnen als Hauptgericht. Gebäck und Früchte in Sirup als Nachspeise. Und ein kräftiger Kaffee danach.

Aber der ganz ohne Subventionen geführte Betrieb rechnet sich
(noch) nicht. Vor vier Jahren wurde mit Nicolas Joanne ein Direktor angestellt, der das Geschäft ankurbeln soll. 6 der rund 100 Zimmer mit etwa 170 Betten werden bald mit Dusche und WC ausgestattet, in Zukunft vielleicht noch mehr.

Doch ganz ohne Zuschüsse von Staat, Kommune oder Kirche sei es schwer, die Investitionen zu leisten, klagt Joanne. Noch beträgt die Auslastung nur 50 Prozent. Früher hielten 30 große Pilgerzüge mit jeweils 800 Passagieren pro Jahr in Nevers - in diesem Jahr waren es noch 3. Immerhin: Inzwischen kommen mehr Einzelreisende. Und im September bricht die Reisewelle nicht mehr abrupt ab - bis in den November dauert jetzt die Saison.

Um den Unterhalt der weitläufigen Anlage zu finanzieren, verlangt der "Espace Bernadette" mittlerweile Eintritt - wenngleich freiwillig. Eine Spende von zwei Euro wird den Besuchern der Kirche mit Bernadettes Schrein nahegelegt. Viele zahlen nicht, denn einen richtigen Kartenverkauf wollen die Ordensfrauen auch nicht einrichten, um niemanden abzuschrecken. Mehr Geld lassen die Reisenden im Souvenirshop, wo von Postkarten über Kerzen, Medaillen und Lesezeichen alles mit dem Foto der heiligen Bernadette bedruckt ist. Impulskäufe meist, wie im Supermarkt an der Kasse: Denn viele der Nevers-Besucher sind in Eile. Die Wallfahrtsstätte bleibt für sie nur eine Zwischenstation auf dem Weg zu ihrem eigentlichen Ziel - Lourdes.

Von KNA-Mitarbeiter Christoph Lennert