Scheidender Vize der westfälischen Kirche kritisiert Anker-Zentren

Kirche muss Missstände klar benennen

​Kirche muss sich nach Überzeugung des scheidenden Theologischen Vizepräsidenten der westfälischen Landeskirche, Albert Henz, gesellschaftspolitisch einmischen. Im Interview kritisiert er die Anker-Zentren für Flüchtlinge und verteidigt das Kirchenasyl.

Autor/in:
Holger Spierig
Debatte um Familiennachzug / © Swen Pförtner (dpa)
Debatte um Familiennachzug / © Swen Pförtner ( dpa )

Evangelischer Presse-Dienst (epd): In Ihrem Amt waren Sie auch für die politisch-gesellschaftlichen Fragen zuständig. Warum ist es wichtig, dass sich Kirche öffentlich einmischt und äußert, auch politisch?

Albert Henz (scheidender Theologischer Vizepräsident der westfälischen Landeskirche): In unserer Geschichte haben wir oft genug gemerkt, dass wir das nicht ausreichend getan haben. Das hat sich besonders nach dem Ersten Weltkrieg gezeigt, etwa beim Kirchenkampf. Nur wenige waren damals bereit gewesen, sich im Nationalsozialismus für mehr als die Freiheit der Kirche zu engagieren. Im Stuttgarter Schuldbekenntnis und anderen Texten haben Kirchenvertreter dann gesagt: das soll so nicht noch mal passieren. Wir haben eine Botschaft, die sich nicht nur ans Innere der Menschen richtet, sondern die auch das Wohlergehen in den äußeren Fragen des Lebens beinhaltet. Das ist Teil unseres christlichen Auftrags.

epd: Bei welchen gesellschaftspolitischen Themen muss Kirche aktuell ihre Stimme erheben?

Henz: Ich komme gerade aus Südafrika, wo sich die Kirchen gegen das Apartheitsregime gewandt haben. Da hat sich zwar manches verändert. Aber ich war schockiert, dass die Homelands weiterhin da sind, und unter welchen Bedingungen die Schwarzen da leben. Da frage ich mich, ob die Kirchen da noch klar genug Partei ergreifen.

Auch bei uns gibt es keinen Grund, leiser zu werden - im Gegenteil. Bei der Frage von Flüchtlingen und Integration müssen wir uns nach anfänglichem großen Rückhalt in der Bevölkerung deutlich dazu äußern, dass da vieles nicht in der richtigen Weise läuft.

epd: Was läuft nicht richtig?

Henz: Die Bearbeitung der Entscheidungen dauert viel zu lange und es passieren viel zu viele Fehler. 40 Prozent der Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sind nach Urteilen der Verwaltungsgerichte fehlerhaft.

In den geplanten Anker-Zentren sollen Flüchtlinge auf der Grundlage solcher langwieriger fehlerhafter Verfahren zurückgeschickt werden. Und das offenbar auch ohne ausreichende Prüfung, ob die Sicherheit für die Menschen in ihrem Herkunftsland ausreichend gewährleistet ist. Das entspricht nicht dem, was wir akzeptieren können.

epd: Was müsste verbessert werden?

Henz: Die Entscheidungen müssten schneller und zugleich korrekter gefällt werden. Menschen ohne Anspruch auf Asyl müssen früh zurückgeschickt werden. Bei denen, die bleiben, muss dann für eine gute Integration gesorgt werden. Da muss allerdings noch sehr viel gemacht werden bis hin zu einem Einwanderungsgesetz.

Auch muss die Polizei zügig reagieren, wenn es zu Straftaten von Flüchtlingen kommt. Weil das nicht funktioniert, fallen dann in der öffentlichen Stimmung Straftaten auf die Menschen zurück, die es nicht verdient haben. Da dürfen wir nicht müde werden, uns zu äußern. Es bleibt besorgniserregend, wie viele Menschen weiterhin über Schlepperboote kommen und sich in Lebensgefahr begeben müssen. Die Zahlen der Menschen, die umkommen, sind weiterhin skandalös.

epd: Wie bewerten Sie grundsätzlich die Pläne für die "Anker-Zentren" zur Abschiebung von Flüchtlingen?

Henz: Im Grundsatz finde ich richtig, dass die Verfahren beschleunigt werden sollen. Bislang gibt es aber, wie gesagt, viele Umsetzungsfehler, die dann zu Fehlentscheidungen führen. Dazu kommt, dass man in solchen Anker-Zentren viel schwerer Hilfe, die auch wir immer wieder geleistet haben, oder die Verwaltungsgerichte in Anspruch nehmen kann. Es fehlt die Begegnung mit der Bevölkerung, die 2015 so viele Menschen zum Engagement motiviert hat.

Wenn man über lange Zeit einen solchen Ort von Massenunterbringung auf engstem Raum schafft, ist das außerdem immer ein Ort von Gewalt und Unruhe.

epd: Ein wichtiges Thema war Ihnen Migration und Integration. Wie bewerten Sie es, wenn CSU-Politiker Alexander Dobrindt eine "Anti-Abschiebeindustrie" kritisiert?

Henz: Die Wortwahl, die sich gegen Anwälte richtete, ist unverschämt. Wenn man einerseits das Kreuz an öffentliche Gebäude bringt, sich dann aber von den christlichen Inhalten des Kreuzes mehr oder weniger distanziert, passt das nicht zusammen. Wenn Anwälte bei uns für die Rechte von Menschen streiten und am Ende häufig Recht bekommen, dann sollte man lieber mal eingestehen, dass da wohl einiges schiefläuft, als sich einer solchen Wortwahl zu bedienen.

epd: Es gab immer wieder aus der Politik Kritik am Kirchenasyl, dass es sich über geltendes Recht hinwegsetzen würde. Wie bewerten Sie die Vorwürfe?

Henz: Wenn die Entscheidungen nicht solide sind, dann wird das Kirchenasyl auch wieder häufiger in Anspruch genommen werden müssen.

Immer mehr Politiker und Juristen erkennen ja Gott sei Dank an, dass wir damit einen Aufschub herbeiführen, um die Rechtslage noch einmal zu überprüfen. Wir wollen uns nicht über staatliches Recht hinwegsetzen. Aber wir wissen, es passieren Fehler. Nach dem Kirchenasyl ist es nicht selten zu einer Korrektur der Ablehnung gekommen. So verhelfen wir dem Recht zur Geltung.

Wir sind in unserer Kirche sehr solide mit diesem Verfahren. Wir melden Kirchenasyle ordnungsgemäß an, erstellen die Dossiers und begleiten die Gemeinden. Wenn sich herausstellt, dass das Asyl nicht berechtigt war, dann wird das auch akzeptiert.

Die Zahlen der Kirchenasyle sind auch nicht so hoch, wenn man sie mal im Verhältnis zu den Flüchtlingszahlen insgesamt nimmt. Ich bin dankbar, dass wir in Nordrhein-Westfalen mit jeder Regierung und mit jedem der zuständigen Ministerien zu einem guten Einvernehmen gekommen sind. Das gelingt natürlich nur, wenn man mit den Entscheidungsträgern im Kontakt ist und eine Vertrauensbasis vorhanden ist.

epd: NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) hat zum Thema Kirchenasyl Gespräche mit den Kirchen angekündigt. Halten Sie da Änderungen für möglich oder bleibt es bei der bewährten Praxis?

Henz: Die Gespräche mit Integrationsminister Stamp habe ich gemeinsam mit Vertretern der beiden anderen evangelischen Kirchen in NRW geführt. Das war soweit ok. In unserer Kirche, auch dank unserer Mitarbeiter im Institut für Kirche und Gesellschaft in Villigst, wird es sehr solide gehalten. Das weiß man in der Landesregierung ebenso wie beim Bamf.

Ich bin auch sehr dankbar, dass bei unseren kirchlichen Initiativen die Stimmung nicht in Frustration umgeschlagen ist. Enttäuscht ist man dort wegen der neuen kritischen Stimmungen und Tendenzen gegenüber Flüchtlingen schon. Aber insgesamt arbeiten die Flüchtlingsinitiativen weiterhin hoch engagiert.

epd: Die Bundesregierung will den Familiennachzug für subsidiäre Flüchtlinge wieder erlauben, die Zahl aber auf 1.000 Menschen pro Monat begrenzen. Ist das ausreichend?

Henz: Erst mal ist es gut, dass es die 1.000 pro Monat gibt. Das ist ja schon eine Öffnung nach der grundsätzlichen Ablehnung. Auch in den Gesprächen mit Minister Stamp kommen wir immer wieder an den Punkt: Wenn uns die Beschleunigung bei guten qualifizierten Verfahren gelingt, dann könnte und sollte man auch über die Frage des Familiennachzugs wieder intensiver reden.

Denn das ist klar: Wir brauchen Integration, wir brauchen Migration. Es geht natürlich zunächst darum, die Menschen zu schützen. Aber wir brauchen auch wegen der demografischen Situation in unserem Land qualifizierte und gesteuerte Migration, ein Einwanderungsgesetz. Zum Gelingen der Integration nötig sind dafür Sprachkurse, Aus- und Weiterbildungen sowie der Schulbesuch der Kinder. Wenn das alles gelingt, würde sich bei uns auch die demografische Situation verbessern und der Fachkräftemangel abnehmen.

epd: Was können die Kirchen beitragen, damit Integration von Migranten gelingt?

Henz: Im Kleinen sehe ich, wie das gelingt. Meine Frau zum Beispiel betreut eine syrische Flüchtlingsfamilie. Diese Familie wird sich integrieren. Wenn sie aber nicht diese Unterstützung gegenüber Behörden und in vielen anderen Dingen gehabt hätte, wäre vieles nicht gelungen.

Wenn man alles einfach laufen lässt, geschieht keine Integration, sondern es kommt zu Parallelgesellschaften. Dass es auch anders geht, zeigen immer wieder die kirchlichen Initiativen. Auch innerhalb der Kirche haben wir dadurch einen Aufbruch erlebt. Christen haben sich gebraucht gefühlt. Denn es ist nicht nur eine Last, die man da trägt. Ich glaube vielmehr, wie es in den Seligpreisungen heißt, dass ein solches Engagement Menschen mit einer tiefer gehenden Form von Glück erfüllt.

 


Quelle:
epd