Russland-Konflikt belastet auch Ukrainer in Deutschland

"Viele Menschen haben Angst"

Rund 24.000 Menschen mit ukrainischer Migrationsgeschichte leben in Berlin, etwa 130.000 Ukrainer sind es insgesamt in Deutschland. Der aktuelle Konflikt mit Russland belastet die Menschen auch hierzulande.

Autor/in:
Nina Schmedding
Eine Frau steht vor drei Ikonen / © Jannis Chavakis (KNA)
Eine Frau steht vor drei Ikonen / © Jannis Chavakis ( KNA )

Ein Tuch mit farbigen Rosen liegt über den Altar gebreitet, auf den Stühlen rechts und links davon stehen Ikonen. Pfarrer Oleh Polijanko hat diese Dinge eigens mitgebracht für den Gottesdienst, der jeden Sonntagmorgen in der evangelischen Dorfkirche von Alt-Hermsdorf in Berlin stattfindet.

Reaktion auf den Krieg

Es ist eine orthodoxe Feier der ukrainischen Gemeinde, die rund 500 Mitglieder hat und einmalig in Berlin ist. Sie hat sich 2015 gegründet - als Reaktion auf den Krieg in der Ostukraine zwischen den von Moskau unterstützten Separatisten und ukrainischen Regierungstruppen.

"Viele Ukrainer wollten damals nicht mehr zur russischen Kirche gehen, weil dort für Putin und die russischen Soldaten gebetet wird", erzählt Anwalt Andriy Ilin, der seit 2007 in Deutschland lebt und die Gemeinde damals mitgegründet hat. Der Einfluss des russischen Staates auf die russisch-orthodoxe Kirche sei sehr groß, nach wie vor.

Orthodoxe Kirchen in der Ukraine

Rund 70 Prozent der 45 Millionen Ukrainer bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Sie gehören allerdings zwei verschiedenen Kirchen an: der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats und der autokephalen (eigenständigen) "Orthodoxen Kirche der Ukraine".

Orthodoxe Kirche der Ukraine / © Sergey Korovayny (KNA)
Orthodoxe Kirche der Ukraine / © Sergey Korovayny ( KNA )

Westliche Hysterie

Der Kreml, der die Furcht vor einem russischen Angriff auf die Ukraine als westliche Hysterie darstellt, bestreitet, einen Militärschlag gegen das Nachbarland zu planen. Dementsprechend ist die Haltung des russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill I. zu dem Konflikt unklar.

Seit 2018 gehört Ilins Gemeinde zur eigenständigen (autokephalen) Orthodoxen Kirche der Ukraine, die vor vier Jahren entstand und vom Moskauer Patriarchat nicht anerkannt wird. In Deutschland gibt es laut Ilin nur in wenigen Städten eigene ukrainische Gemeinden der orthodoxen Kirche - etwa in Neuss oder Frankfurt/Main.

Gebet um Frieden mit Russland

Um Frieden mit Russland wird an diesem regnerischen Februarmorgen in der kleinen Dorfkirche am Rande Berlins gebetet. Liturgische Gesänge ertönen, Kinder und Frauen mit Kopftuch zünden - nach orthodoxer Tradition während der Liturgie - Kerzen an, verbunden mit einem persönlichen Gebet, für die Verstorbenen oder für die eigene Gesundheit. Der traditionelle Ritus und der Kontakt zueinander gibt den Menschen Halt.

Bei Problemen "geht man in der Ukraine eher zum Pfarrer als zum Psychologen", erklärt Ilin, der in einem blauen Gewand an der Liturgie mitwirkt. Er stammt aus Czernowitz, einer Stadt in der Westukraine, wo noch seine Eltern und viele Freunde leben. "Sie waren eigentlich optimistisch, dass es zu keiner Invasion kommt, aber in den letzten Tagen sind sie unruhig geworden", erzählt der 33-Jährige. "Die Anspannung ist sehr groß, und viele haben Angst."

Orthodoxe Gemeinden in Deutschland

Das zeigt sich auch in anderen orthodoxen Gemeinden in Deutschland. Andre Sikojev, 61 Jahre alt, ist Priester der Russisch-Orthodoxen Kirche im Ausland, einer selbstverwalteten Kirche innerhalb des Patriarchats von Moskau. Zu seiner Gemeinde in Berlin-Charlottenburg gehören sowohl Russen als auch Ukrainer, die in der Hauptstadt leben.

Sorge um kriegerische Eskalationen

Viele seien besorgt, dass es kriegerische Eskalationen geben könnte, sagt Sikojev - "egal, von wem ausgelöst". Trotzdem habe er nicht den Eindruck, dass es zwischen den Gemeindemitgliedern unterschiedlicher Herkunft zur Zeit irgendwelche Spannungen gebe. "Wir sind alle Christen, wir leben zusammen als eine geistliche Familie", betont der Geistliche. Zudem sei der Konflikt der beiden Nachbarländer auch nichts, was im Gemeindeleben groß thematisiert werde. Das gehöre sozusagen zu den «guten Manieren». Ukrainer und Russen stünden sich sprachlich und kulturell sehr nahe.

Es gebe viele Ukrainer in Berlin, die nach wie vor den russisch-orthodoxen Gottesdienst besuchen, bestätigt Ilin. "Das kann ich aber nicht verstehen", räumt er zugleich ein. Klare Worte in dem Konflikt seitens der russisch-orthodoxen Kirchenleitung vermisst auch Pfarrer Oleh. Er verdreht die Augen gen Himmel bei der Frage danach und weist daraufhin, dass etwa Papst Franziskus sich mehrfach deutlich geäußert habe - im Gegensatz zum Moskauer Patriarchen.

"Krieg ist unser Leben"

Auch Oleksandra Bienert, die seit Jahren in Berlin lebt, mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit hat und für das Portal "Ukraine verstehen" schreibt, ist an diesem Morgen nach Hermsdorf gekommen. Sie stammt aus dem Westen der Ukraine und ist russische Muttersprachlerin. "Trotzdem bin ich nicht der Meinung, dass Ukrainer und Russen ein Land haben müssen", sagt sie. Und was die Sprache anbelange - "da ist das Ukrainische viel näher am Polnischen als das Russische". Sie fragt sich auch, warum Deutschland die Ukraine nicht stärker unterstütze - zumal der Konflikt auch nicht erst seit kurzem schwele. "Krieg ist unser Leben", sagt Bienert mit Blick auf die Unruhen in der Ostukraine seit 2014.

Quelle:
KNA