Rupert Neudeck über die Aufbauarbeiten in Pakistan

"Es gibt ein Licht am Horizont"

Nach der Flut in Pakistan ist jetzt auch der Hunger in den betroffenen Gebieten angekommen, die Menschen kämpfen gegen Seuchen und an vielen Orten steht das Wasser noch immer knietief. Im domradio.de-Interview berichtet der Gründer der Hilfsorganisation Grünhelme Rupert Neudeck über die Situation vor Ort. Er ist gerade erst aus dem Unglücksgebiet zurückgekehrt.

 (DR)

domradio.de: Herr Neudeck, wie schlecht geht es den pakistanischen Flutopfern wirklich? Wir kriegen hier ja nur noch wenig mit.

Rupert Neudeck: Es gibt jetzt wenigstens schon einmal ein Licht am Horizont, es gibt eine Perspektive für diese Menschen. Wir haben eine gute Nachricht: Seit zwei Wochen scheint, ja brüllt, ununterbrochen die Sonne in diesem Land. Das ist eine sehr gute Nachricht, das kann man sich in Deutschland gar nicht vorstellen. Das bedeutet in Pakistan aber, dass die Fluten langsam zurückgehen und viele der Flutopfer nun überlegen können, ob sie morgen oder übermorgen oder in einer Woche ihre Sachen packen und in ihr Heimatdorf zurückkehren. Das ist nämlich das Allerwichtigste, denn die Existenz von Menschen in Zeltlagern ist immer etwas sehr Mühseliges und Belastendes. Es ist wichtig, dass diese Menschen jetzt bald in ihre Heimatdörfer zurückkommen. Das ist der Prozess, den ich jetzt beobachtet habe, der fängt jetzt an. Deshalb ist es momentan sogar eine etwas bessere Situation als vor 2 oder 3 Wochen.



domradio.de: Was ist im Moment das Nötigste, das die Menschen brauchen? Auch für diesen Prozess des Wiederaufbaus?

Neudeck: Erst einmal brauchen sie immer noch eine ganze Menge, eine Riesenquantität an Nahrungsmitteln, weil man sich ja klarmachen muss: Die Mehrzahl der großen Gehöfte und Felder, auf denen die Ernte jetzt lag, ist verlorengegangen, d.h. Pakistan verliert im Grunde genommen seine diesjährige Ernte und ist deshalb ganz dringlich auf große Quantitäten von eingeführten Nahrungsmitteln des Welternährungsprogramms angewiesen. Gleichzeitig braucht man jetzt für den Beginn des Wiederaufbaus Baumaterial. Ich bin in einem Dorf gewesen, in dem wir jetzt begonnen haben, 20 kleine Modellhäuser mit den Menschen zu bauen. Dort sind Baumaterialien wichtig. Wir müssen dort ein Baustofflager einrichten. Die für ein einziges Haus benötigte Summe kann man sich hier in Deutschland gar nicht vorstellen: nämlich ca. 1.000€. Für 1.000€ kann man ein kleines Haus bauen, das sogar ein Fundament und einen Ringanker hat. Wir bauen mit Lehmziegeln, die sind sehr billig. Wenn man dann den Zement noch direkt von der Fabrik bekommt, also etwas billiger als sonst auf dem Markt, und alles en gros einkauft, dann kann man ein solches kleines Haus für eine Familie mit 5 oder 6 Kindern für 1.000€ herrichten.



domradio.de: Stichwort Geld: Wir haben ja hier immer gehört, dass die Spendenbereitschaft für Pakistan nur sehr schleppend angelaufen ist. Haben Sie das vor Ort auch gesehen - dass da wirklich einfach nicht genug Geld geflossen ist?

Neudeck: Also ich bin nicht der Meinung, dass meine Bevölkerung in Deutschland schleppend reagiert. Ich halte diese Beobachtung für nicht richtig. Ich habe meine Bevölkerung seit 30 Jahren immer wieder als sehr hilfreich erlebt, als sehr aktiv. Wenn man ihr die konkrete Not von Menschen in bestimmten Gebieten der Erde vor Augen führt, ist diese Bevölkerung immer wieder bereit zu Höchsttaten. Aber man muss sich das ja klarmachen: Wir haben eine Situation aufgrund der Klimakatastrophe, wo die Katastrophen hintereinanderpurzeln. Wir hatten in den 80er Jahren z.B. eine einzige ganz große Naturkatastrophe, das war in Äthiopien und dauerte 3 Jahre. Jetzt haben wir aber eine Katastrophe nach der anderen hintereinander gestaffelt seit 2006. Das ist auch für einzelne Mitbürgerinnen und Mitbürger natürlich eine Belastung, deshalb ist es eine natürliche Konsequenz dieser Vielzahl von Katastrophen. Aber ich halte die deutsche Bevölkerung immer noch im europäischen Maßstab für die bereitwilligste, uns Geld zu geben.



domradio.de: Stichwort Bereitwilligkeit: Es wurde immer wieder die schwierige politische Gemengelage diskutiert, dass die Leute etwas gehemmt waren zu spenden, weil sie Angst hatten, dass das Geld in die Hände von islamistischen Leuten gerät. Ist das ein Eindruck, den Sie widerlegen können?

Neudeck: Ich bin der festen Überzeugen, dass das alles wahnsinnig übertrieben worden ist. Das hat allenfalls vielleicht in einigen der westpakistanischen Grenzgebiete zu Afghanistan eine Bedeutung. Ansonsten ist das riesengroße, wunderschöne Land Pakistan in der ganz großen Bereitschaft, diese Hilfe von deutscher Seite dankbar anzunehmen. Ich habe das überall so erlebt und ich würde meine Mitbürger/innen bitten, diesen Verdacht nicht weiter zu hegen. Es gibt in weiten Teilen des Landes überhaupt nichts, was den Taliban nahekäme. Es gibt dort keine Extremisten. Ich habe sogar in einem katholischen Kloster in Südpakistan zu Abend gegessen. Es gibt dort Toleranz. Das ist ein menschenfreundlicher Islam, wir haben dort eine Zusammenarbeit in einer Organisation zwischen Hindus, Muslimen und Christen erlebt, die beispielgebend ist. Ich kann alle diese Verdächtigungen nicht bestätigen. Deshalb möchte ich meine Mitbürger bitten, das nicht mehr für bare Münze zu nehmen. Diese Menschen brauchen dringend unsere helfende Hand, unsere Solidarität und unsere Sympathie. Und deshalb ist es ganz wichtig: Wir können versprechen, dass alles das, was uns jetzt hier in die Hand gegeben wird, vor Ort für den Hausbau ausgegeben wird.



domradio.de: Hier in Köln steht im Oktober eine Benefizveranstaltung auf dem Programm, deren Erlös Ihren Grünhelmen und Ihren Projekten in Pakistan zu Gute kommen soll. Was ist da genau geplant?

Neudeck: Das ist eine wunderschöne Sache. Ich komme ja gerade von der diesbezüglichen Pressekonferenz. Dieser Zirkus ist bereit, an einem Spieltag die Hälfte der Einnahmen für diese Aktion zu spenden und gleichzeitig wird in den Vorstellungen des Zirkus ab dem 14. Oktober, dem Datum der Premiere, jedes Mal darauf hingewiesen, dass Menschen, die mit ihren Kindern dort hinkommen und von der Vorstellung hingerissen sein werden, auch direkt spenden können. Und der Direktor dieses Zirkus hat uns eben erklärt, dass er sehr wohl den Konkurrenzkampf mit einer anderen Organisation, die dort schon 52.000€ gesammelt hat, aufnehmen und eine noch höhere Summe einspielen will.