Runder Tisch: Bundesjustizministerium veröffentlicht Leitlinien

Kein "Unter-den-Teppich-Kehren" mehr

Schulen, Vereine und Gemeinden sollen sich selbst verpflichten, Verdachtsfälle von Kindesmissbrauch rasch an Staatsanwalt oder Polizei zu melden. Eine gesetzliche Vorschrift dazu wird es aber nicht geben. Auf diesen Kompromiss hat sich der Runde Tisch der Bundesregierung geeinigt. Für die katholische Kirche ändere sich nichts, so eine Sprecherin.

 (DR)

"Die Zeit des Vertuschens ist vorbei", erklärte Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger am Donnerstag in Berlin. "Die freiwillige Selbstverpflichtung setzt dem Unter-den-Teppich-Kehren ein Ende."



Der Runde Tisch war vergangenes Jahr ins Leben gerufen worden, nachdem immer mehr Missbrauchsfälle vor allem in Einrichtungen der katholischen Kirche bekannt geworden waren. Die Frage, ob und wann der Staatsanwalt eingeschaltet werden muss, war von Anfang an heftig umstritten. Dazu setzte der Runde Tisch eine Arbeitsgruppe ein, die jetzt "Leitlinien zur Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden" verabschiedete.



Schon im Mai 2010 hatten sich die Beteiligten gegen eine "strafbewehrte Anzeigepflicht" ausgesprochen. Die Kompromisslinie ist nun eine "freiwillige Selbstverpflichtung". Die Deutsche Bischofskonferenz erklärte auf Anfrage, die Linie entspreche der Beschlusslage der katholischen Kirche. "Für uns ändert sich nichts", sagte eine Sprecherin.



Ausnahmen möglich

Die Leitlinien gelten nach Darstellung des Justizministeriums nicht unmittelbar, sondern sie müssen in den beteiligten Institutionen umgesetzt werden. Auch sollen weiter Ausnahmen von der raschen Meldung an die Staatsanwaltschaft möglich sein - nämlich wenn "die Belastung durch ein Strafverfahren eine nicht anders abwendbare unmittelbare Gefährdung der körperlichen oder psychischen Gesundheit des Opfers verursachen kann", wie es in den Leitlinien heißt. Allerdings soll die betroffene Institution nicht allein feststellen dürfen, dass ein solcher Ausnahmefall vorliegt. Vielmehr soll sie externe Berater hinzuziehen.



Zudem heißt es in den Leitlinien: "Der einer Strafverfolgung entgegenstehende Wille des Opfers oder der Erziehungsberechtigten ist bei der Entscheidungsfindung über die Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden zu berücksichtigen." Allerdings verpflichte der Widerspruch des Opfers die Institution nicht dazu, auf die Meldung an den Staatsanwalt zu verzichten.



Die Leitlinien ermöglichten strafrechtliche Maßnahmen gegen die Täter und gleichzeitig den Schutz der Opfer, erklärte Leutheusser-Schnarrenberger. "In langen und intensiven Diskussionen ist es gelungen, den Schutzauftrag der Institutionen für das Kindeswohl mit der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs in Einklang zu bringen."



Am Runden Tisch beteiligt sind neben den Kirchen unter anderen der Deutsche Olympische Sportbund, diverse Verbände von Lehrern, Internaten und Privatschulen sowie Opferorganisationen und Wissenschaftler.

Die katholische Kirche hatte bereits im August 2010 verschärfte Leitlinien zum Umgang mit den Tätern und zur Einschaltung der Justiz veröffentlicht.