Roland Jahn wird neuer Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen

Prominentes Opfer der DDR-Willkür

Der neue Leiter der Stasi-Unterlagen-Behörde, Roland Jahn, sieht sich als Anwalt der Opfer des SED-Regimes. Der Journalist ist zweifellos eines der prominentesten Opfer damaliger Willkür, der die Mechanismen der SED-Herrschaft mehr als einmal am eigenen Leib zu spüren bekam.

Autor/in:
Thomas Bickelhaupt
 (DR)

Seine Haltung zur DDR ist knapp und eindeutig: Zum Staatsfeind habe ihn erst der Staat gemacht, resümiert Roland Jahn seine Studentenzeit in den 70er Jahren im thüringischen Jena. Damals habe er die DDR wie zahllose seiner Altersgenossen durchaus als sein Zuhause gesehen, "das wir verändern und gestalten wollten". Doch die "Idee von einem Leben in Gerechtigkeit" rief bald schon die Staatssicherheit auf den Plan.



Am Freitag (28.01.2011) wählte der Bundestag den heute 57-Jährigen aller Voraussicht nach zum neuen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Damit steht er jener Behörde vor, in der dieses und millionenfaches anderes Unrecht des SED-Staates dokumentiert ist.



Die Abschiebung bringt unverhofft Freiheit

Am 8. Juni 1983 war er unfreiwillig zum ersten Oppositionellen aus der DDR überhaupt geworden, der gewaltsam und gegen seinen Willen in den Westen abgeschoben wurde. Zuvor war er den DDR-Behörden immer wieder wegen "staatsfeindlicher Aktionen" aufgefallen. So sah die Staatsmacht in dem polnischen Fähnchen, mit dem er 1982 aus Solidarität mit dem Nachbarland unter Kriegsrecht durch Jena radelte, eine "Missachtung staatlicher Symbole".



Jahn erhielt 18 Monate Haft, kam jedoch nach heftigen Protesten in der Bundesrepublik schon bald wieder frei. Wenig später wurde er aus der DDR ausgesperrt. Die Abschiebung brachte ihm zwar unverhofft die Freiheit. Doch habe ihm die DDR zugleich einmal mehr die Möglichkeit genommen, frei über sich selbst zu entscheiden, betont der heutige Redakteur des ARD-Politmagazins "Kontraste" rückblickend. Die Staatssicherheit habe gegen seinen ausdrücklichen Willen gehandelt und ihm verwehrt, "dort zu leben, wo ich wollte".



Die Ausbürgerung Wolf Biermanns

Als ein gravierendes Beispiel für Unrecht erlebte Jahn die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann im November 1976. Nachdem er seine Kritik an der staatlichen Willkür immer wieder bekräftigt hatte, verlor er wenige Wochen später seinen Studienplatz in Jena und wurde überdies vom Studium "an allen Universitäten und Hochschulen der DDR ausgeschlossen". Zur "Bewährung" in die Produktion geschickt, kommentierte er den DDR-Alltag fortan auf seine Weise - mit Fotos, Collagen und öffentlichen Aktionen.



Er verfremdete offizielle Plakate und verschickte Bildpostkarten, die ihn mit der Banderole "Bildungsverbot" über dem Mund zeigten. Zum ersten Todestag seines Freundes Matthias Domaschk, der am 12. April 1981 unter bis heute ungeklärten Umständen im Stasi-Gefängnis von Gera ums Leben kam, lancierte er Gedenkanzeigen in die Jenaer Zeitungen. Zudem machten seine Fotos im Westen öffentlich, wie die Stasi den Gedenkstein von Domaschks Grab entfernte und auf Kundgebungen gegen unabhängige Friedensgruppen vorging.



In Jena hielt er sein Plakat "Schwerter zu Pflugscharen" hoch, bis es Stasi-Leute in Zivil herunterrissen und zerstörten. Als er am 22. Mai 1983 sein Transparent in Potsdam entrollen wollte, wurde er verprügelt, 18 Stunden lang festgehalten und vernommen. Die Aufforderung zur sofortigen Ausreise wies er zurück. Zwei Wochen später lockte ihn die Stasi zuhause in Jena in eine Falle: Die Vorladung bei der Stadtverwaltung wegen eines angeblichen Wohnungstauschs endete auf dem Grenzbahnhof von Probstzella bei Saalfeld.



Über das West-Fernsehen zurück in den  Osten

Dort sperrte ihn die Transportpolizei in Knebelketten in den letzten Wagen eines Interzonenzuges. Das verschlossene Abteil wurde erst in der Bundesrepublik wieder geöffnet. Jahn wurde nicht nur zu einem wesentlichen Chronisten der DDR-Opposition, sondern auch zu einem ihrer wichtigsten Unterstützer im Westen. Im damaligen West-Berlin war Jahn bald eine wichtige Adresse für Nachrichten aus der DDR jenseits der offiziellen Staatspropaganda.



Er sorgte dafür, dass die oppositionellen Gruppen in westlichen Medien jene Öffentlichkeit fanden, die ihnen im eigenen Land verwehrt blieb. Und über das West-Fernsehen kehrten die Bilder und Berichte dorthin zurück, wo sie ihren Ausgang nahmen und so unzählige Menschen zu widerständigem Handeln ermutigten. Dabei bewahrte sich Jahn mit der Distanz des engagierten und kritischen Beobachters zugleich einen Blick zurück, der die Jahre der DDR-Opposition nicht romantisch verklärt.