Rheinischer Präses verteidigt Beschlüsse der Landessynode

"Das ist gar nicht so revolutionär"

Der 10-Uhr-Gottesdienst stamme aus einer bäuerlichen Zeit, sagt der Rheinische Präses Thorsten Latzel. Das widerspreche dem Lebensrhythmus vieler Menschen heutzutage. Nicht nur diese Änderung hat seine Landeskirche beschlossen.

Symbolbild Eine evangelische Pfarrerin segnet Kinder / © Harald Oppitz (KNA)
Symbolbild Eine evangelische Pfarrerin segnet Kinder / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Ihre Landessynode hat einer neuen Lebensordnung zugestimmt, die weitreichende Neuerungen zulässt. Der Sonntagsgottesdienst kann beispielsweise jetzt auch auf den Freitag gelegt werden. Wird der Sonntag, der Tag des Herrn, dadurch nicht abgewertet?

Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland / © Harald Oppitz (KNA)
Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland / © Harald Oppitz ( KNA )

Thorsten Latzel (Präses der evangelischen Landeskirche im Rheinland): Nein, gar nicht. Erst mal war es uns bei der Lebensordnung wichtig, die Türen unserer Kirche sehr weit zu machen. So heißt dieses Gesetz, in dem das alles geregelt ist.

Die Lebensrhythmen von vielen Menschen haben sich verändert. Natürlich werden wir weiter den Sonntag feiern und heiligen, aber wir merken zugleich, dass wir Gottesdienste zu anderen Zeiten brauchen, etwa wenn das Wochenende zu Ende geht. Es muss nicht in jeder Gemeinde einen Gottesdienst am Sonntag geben. Das haben wir im ländlichen Raum sowieso schon jetzt nicht, da gibt es auch wechselnde Gottesdienste. Das ist gar nicht so revolutionär neu, wie das zunächst klingen mag.

Thorsten Latzel

"Das widerspricht dem Rhythmus von anderen Menschen, die zumindest einmal in der Woche ausschlafen können."

DOMRADIO.DE: Dass Gott am siebten Tag ruht, ist ur-biblisch. Der Sonntagsgottesdienst ist seit Jahrhunderten ein prägendes Element mit Glockenläuten und vielem mehr. Vielleicht ist es für Auswärtige irritierend und für die Gemeinde verstörend, wenn da sonntags nichts stattfindet?

Hinweisschilder auf Gottesdienste am Ortseingang / ©  Gustavo Alabiso (epd)
Hinweisschilder auf Gottesdienste am Ortseingang / © Gustavo Alabiso ( epd )

Latzel: Der Sonntagsgottesdienst um 10 Uhr stammt aus einer bäuerlichen Zeit. Das passte gut zwischen die Fütterungszeiten. Es gibt in den großen Städten aber nur noch wenige Menschen in der Landwirtschaft. Wir halten aber trotzdem an ganz vielen Stellen an dem 10-Uhr-Termin am Sonntag fest. Das widerspricht dem Rhythmus von anderen Menschen, die zumindest einmal in der Woche ausschlafen können. Da ist es gut, Gottesdienste beispielsweise am Sonntagabend oder am Samstagabend zum Einläuten in den Sonntag hinein feiern zu können.

Der Sonntag beginnt ja schon am Samstag um 18 Uhr. Das heißt trotzdem, den Sonntag zu feiern, zu heiligen. Wir brauchen als Gesellschaft auch einen Tag, wo wir gemeinsam ruhen können, in die Ruhe Gottes einklingen können. Aber die Frage, wann wir Gottesdienst feiern, ist eine zweite. 

DOMRADIO.DE: Es gibt weitere Lockerungen. Nicht konfirmierte Kinder dürfen schon am Abendmahl teilnehmen. Im ersten Korintherbrief beim Apostel Paulus heißt es aber, “Wer unwürdig isst und trinkt, der isst und trinkt sich selbst ein Gericht.” Sollte nicht erst ein Grundverständnis da sein, bevor man zum Abendmahl geht? Das dürfte dann ja bei den Kindern noch fehlen, oder? 

Latzel: Erstens würde ich nicht von Lockerung sprechen, sondern von Öffnung. Wenn wir kleine Kinder oder Säuglinge taufen, dann sind diese Kinder und Säuglinge Glieder am Leib Christi. Das ist übrigens einer der Gründe, warum die Kinder in der orthodoxen Kirche häufig bei der Taufe schon das erste Mal das Brot in den Mund bekommen, also sozusagen am Sakrament des Abendmahls teilhaben. Wer am Abendmahl teilnimmt, soll auch eine Vorbereitung haben, das kann etwa im Kindergottesdienst passieren. 

Kinder haben ein großes Symbol- und Ritualverständnis. Wir sollten Kinder also darauf vorbereiten. Konfirmation ist aber nicht die notwendige Voraussetzung. Vielmehr kann es auch an anderen Stellen passieren. Wenn das Abendmahl im Kindergottesdienst oder in der Grundschule durchgenommen wird, ist auch da schon eine Teilnahme möglich.

Gerade für Kinder ist das ein Erfahrungsraum, wir stehen gemeinsam vorne. Die haben ein Verständnis dafür, dass es eine Zeichenhandlung gibt. Ich glaube, dass gerade Kinder manchmal für das Geheimnis des Glaubens, um das es dabei geht und das wir auch als Erwachsene immer nur nachbuchstabieren, einen großen Sinn haben. 

Taufe auf dem Fernsehturm in Stuttgart / © Christoph Schmidt (dpa)
Taufe auf dem Fernsehturm in Stuttgart / © Christoph Schmidt ( dpa )

DOMRADIO.DE: Bei der Konfirmation geht es aber auch um die Zulassung zum Abendmahl. Und damit verliert doch die Konfirmation an Bedeutung, oder?

Latzel: Die Konfirmation hat verschiedene Funktionen. Sie ist einmal ein Passage-Ritus im Leben von jungen Menschen. Man wird vom Kind zum Jugendlichen. Wir begleiten Menschen in dieser sensiblen Phase.

Es ist auch ein nachgeholter Taufunterricht mit dem Unterricht im christlichen Glauben. Es wird damit die Möglichkeit geboten, an anderen Ämtern in der Kirche teilzuhaben, also mit anderen die Religionsmündigkeit zu erlangen.

Die Zulassung zum Abendmahl ist aber nicht eine notwendige Kopplung an die Konfirmation. Denn mit der Taufe ist man Glied im Leib Christi und mit der Taufe sollte man auch diese Gemeinschaft erfahren.  Es geht darum, den Zusammenhang der Sakramente Taufe und Abendmahl anders deutlich zu machen. 

DOMRADIO.DE: Öffnen möchten Sie sich demnächst auch bei den Gottesdienstorten. Die Taufe dürfte dann theoretisch auf einem Kreuzfahrtschiff stattfinden. Droht dadurch nicht ein Verlust von christlichem Profil? Was unterscheidet dann noch eine Trauung, eine christliche Taufe von so einer freien Veranstaltung? 

Latzel: Es ist gut, wenn wir uns an die biblischen Wurzeln zurückerinnern, etwa an die Apostelgeschichte 8: Da gibt es den Kämmerer aus Äthiopien, der auf dem Wagen daherfährt. Philippus steigt auf dem Wagen und unterrichtet ihn. Dann kommen sie an einem Wasser entlang und der Kämmerer sagt: "Da ist Wasser, was hindert mich daran, dass ich mich taufen lasse?" Dann steigen sie hinab und Philippus tauft ihn. Schließlich zieht der Kämmerer froh seines eigenen Weges weiter. 

Thorsten Latzel

"Das haben wir jetzt schon, dass wir an Flüssen und Seen gemeinsam Tauffeste feiern."

Es ist so gesehen sogar urchristlich in den ersten Gemeinden, dass Taufen immer an einem fließenden Wasser stattfinden sollten. Wir kommen hier stärker wieder zu anderen Praxen zurück, die es auch schon früher in der Kirche gab. Auch, dass Taufen nicht immer nur individuell stattfinden, sondern auch auf großen Tauffesten. Das haben wir jetzt schon, dass wir an Flüssen und Seen gemeinsam Tauffeste feiern.

Und es ist ja so, dass für Menschen die Ortsgemeinde nicht immer prägend sein muss, sondern sie erfahren eine Eingliederung in die Kirche. Aber Gemeinde kann auch zu Hause passieren, kann an verschiedenen Orten passieren. Deswegen nun die Öffnung, Gottesdienste draußen in Gottes Schöpfung zu feiern und auch an anderen Orten Taufen feiern zu können. 

DOMRADIO.DE: Kinder sollen auch ohne evangelische Eltern getauft werden können. Geben Sie da nicht Ihr evangelisches Profil auf? 

Latzel: Nein, im Gegenteil. Wenn ein Kind oder Eltern mit einem Kind zu uns kommen und den Wunsch haben, dass dieses Kind die Taufe erfahren soll und im christlichen Glauben großgezogen werden soll, dann ist das erst mal etwas Schönes. Da sollten wir den Menschen kein Hindernis in den Weg legen.

Wenn Menschen diesen Wunsch haben, dann ist es trotzdem für uns wichtig, dass wir auf jeden Fall die Erziehung im christlichen Glauben gewährleisten wollen. Die kann aber auf verschiedene Weise passieren. Wenn man bisher einfach gesagt hat, formal müssen die Eltern Mitglied in der Kirche sein, ist damit auch noch keine Erziehung im christlichen Glauben gesichert.

Jetzt müssen wir schauen, wie das gewährleistet ist. Das kann auch die Großmutter sein, das können die Paten sein. Das kann auch bei den Eltern manchmal so sein, dass sie aus Gründen nicht in der Kirche sind, aber trotzdem sagen, dass ihnen der christliche Glaube wichtig ist. 

In der Volkskirche haben uns früher immer drauf verlassen, dass es kein Problem gibt, wenn die Eltern Mitglieder der Kirche sind. Aber damit war das Erziehen im christlichen Glauben nicht gewährleistet. Wir gucken jetzt danach, dass das passiert, aber binden es nicht an formale Voraussetzungen. 

Thorsten Latzel

"Wir merken, dass sich Lebensformen von Menschen verändern."

DOMRADIO.DE: Wenn es in der katholischen Kirche um Reformen geht, dann ist in Debatten oft von der Anpassung an den sogenannten Zeitgeist die Rede. Wie wollen Sie den Menschen ein genuin evangelisches Angebot machen, ohne beliebig zu wirken? 

Latzel: Wir merken, dass sich Lebensformen von Menschen verändern. Wir haben heute zum Beispiel alleinerziehende Mütter oder Väter, für die es zum Teil eine Schwierigkeit darstellt, ein Tauffest zu organisieren. Da ist es doch gut, nach anderen Formen zu schauen, damit wir beispielsweise große gemeinsame Taufen machen, wo man sich einklinken kann. Wir haben die Erfahrung mit einer Pop-Up-Hochzeitsmesse in Köln gemacht, wo wir Paaren ein Angebot zum Segnen ihrer Beziehung gemacht haben. Da waren über 90 Paare, um sich ihre Liebe segnen zu lassen. Wer sind wir, dass wir die Menschen daran hindern? 

Wir müssen damit klarkommen, dass heute Lebenswege pluraler, vielfältiger sind, als wir es uns häufig vorstellen können. Einen Menschen zu begleiten, im Lebenslauf der Menschen mitzugehen, ist uns wichtig. Für mich hat das nichts mit Beliebigkeit oder Anpassung an den Zeitgeist zu tun, sondern von einer Beweglichkeit, einem Hingehen.

Und biblisch geredet: Christus hat sich auf den Weg gemacht, ist zu den Menschen gegangen. Wir sollten nichts unrein nennen, was Gott rein nennt und ein weites Herz und einen offenen Sinn dafür haben. 

Das Interview führte Tobias Fricke. 

Ergebnisse der rheinischen Landessynode

Die Evangelische Kirche im Rheinland tauft künftig auch Kinder, bei denen kein Elternteil der evangelischen Kirche angehört. Eine entsprechende Änderung der "Lebensordnung" beschloss die in Düsseldorf tagende Synode der Rheinischen Kirche. Einzige Bedingung ist, dass die christliche Erziehung der Kinder etwa durch Paten sichergestellt sein muss.

Thorsten Latzel / ©  Thomas Lohnes (epd)
Thorsten Latzel / © Thomas Lohnes ( epd )
Quelle:
DR