DOMRADIO.DE: Heute auf den Tag genau ist das Unglück 30 Jahre her. Wie geht es Ihnen heute am Jahrestag?
Markus Nothof (Rettungssanitäter und Klinikseelsorger): Heute ist kein einfacher Tag, weil sehr viele Bilder und Eindrücke von diesem Unglückstag wieder hochkommen. Diese sind ein bisschen ins Unterbewusstsein weggerückt worden. An den Gedenktagen wird das alles noch einmal ein Stück weit lebendig.
DOMRADIO.DE: Wie haben Sie die Katastrophe als Rettungssanitäter damals erlebt?
Nothof: Ich war auf dem Flugplatz Ramstein als Sanitätsfeldwebel stationiert. Wir wollten eigentlich Grillsachen verkaufen, um unsere Kasse aufzubessern. Ich hatte meine Sanitätstasche dabei, falls eine Kleinigkeit passiert. Der Tag ist ganz normal verlaufen. Es war ein sehr heißer und schöner Tag. Viele Leute waren da, um diese Flugschau anzugucken und dieses amerikanische Eis zu essen. Viele technikbegeisterte Menschen sind gekommen, um sich die Flugzeuge anzuschauen.
DOMRADIO.DE: Und dann ist das Unglück passiert. Wie erinnern Sie das? Waren sie dann wie im Rausch, haben einfach nur gehandelt? Wie war das?
Nothof: Das ist eine schwierige Geschichte. Zuerst hörte man einen dumpfen Knall. In dem Moment hat man schon gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Wir waren 300 Meter von der Aufschlagstelle entfernt und haben dann diesen schwarzen Qualm gesehen. Wir haben relativ schnell gemerkt, dass die Leute sich von dort aus schnell wegbewegen.
Ich habe dann meine Rotkreuzbinde angezogen und bin in die Richtung gelaufen, von wo mir die Leute entgegengekommen sind. Es tauchten dann immer mehr Verletzte auf. Auch Menschen, die sehr stark verbrannt waren und trotzdem noch gelaufen sind.
DOMRADIO.DE: Viele der Opfer leiden bis heute unter den Folgen. Sie haben gesagt, am Jahrestag steigen die Bilder aus dem Unterbewusstsein wieder hoch. Ist es so, dass Sie diese Bilder von damals generell verfolgen?
Nothof: Ich konnte die ersten Jahre gar nicht darüber sprechen. So etwas wie eine psychologische Begleitung oder Supervision gab es zu dieser Zeit nicht. Man wurde mit seinen Bildern und Eindrücken ganz allein gelassen. Der Kontakt zur Nachsorgegruppe von Ramstein hat mir nach circa 13 Jahren geholfen, das Ganze aufzuarbeiten.
Später bin ich auch selbst als Seelsorger in Ramstein eingesetzt worden. Ich habe einige Jahre diese Gedenkgottesdienste auch mit begleitet und geleitet. Da sind gleichgesinnte Menschen hingekommen, die gewusst haben, wovon ich erzähle.
DOMRADIO.DE: War das für Sie damals auch ein Tag, der ihr Leben verändert hat?
Nothof: Ja, das hat mein Leben auf vielfältige Weise verändert. Schon direkt nach der Schule konnte ich mir vorstellen, Theologe zu werden. Damals hatten die Bedingungen aber nicht gestimmt. Nach 12 Jahren Bundeswehr stand dann eine berufliche Neuorientierung bei mir an. Zu dieser Zeit wurden Laienseelsorger händeringend gesucht. Das war dann meine Chance, mit Ende 20 das Studium doch noch zu beginnen.
DOMRADIO.DE: Heute sind sie Gemeindereferent und Klinikseelsorger. Inwieweit beeinflusst das Erleben dieser Katastrophe von Ramstein ihre Arbeit bis heute?
Nothof: Bei der Klinikseelsorge haben wir eine 24-Stunden Rufbereitschaft. Wir werden immer wieder zu schweren Unfällen und Katastrophen hinzugerufen. Das heißt, mein Dasein ist geprägt von eigenen Erfahrungen. Die Menschen sagen immer, ich sei sehr ruhig und sie bewundern, dass ich in den Situationen so ruhig sein kann. Ich glaube, das hat damit zu tun, was ich vor 30 Jahren erlebt habe.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt das Erinnern und Gedenken an eine Katastrophe für die Opfer, Angehörigen und Helfer?
Nothof: Das Erinnern ist ganz wichtig, weil damit auch weiterhin eine Verarbeitung stattfinden kann. Bei den Gedenkgottesdiensten wird auch immer ein Ritual abgehalten: Die 70 Namen der Opfer werden verlesen. Das ist ganz wichtig, dass es diese Rituale gibt und dass der Mensch durch diese Rituale weiter be- und verarbeiten kann.
Das Interview führte Hilde Regeniter