Restaurierung des Freiburger Münsterturms

Mittelalterliche Spitzentechnik

Am Ende der Arbeiten werden mehr als 100 beschädigte Steine in Handarbeit neu gehauen und ausgetauscht sein - bis Mitte 2011 die Restaurierung des Freiburger Münsterturms abgeschlossen sein. Ein Problemfall zeigt sich an einer statisch sensiblen Stelle.

 (DR)



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Von Volker Hasenauer  (KNA)

Freiburg (KNA) Immer wieder stehen die Restauratoren des Freiburger Münsterturms staunend vor der Leistung der mittelalterlichen
Erbauer: Seit 700 Jahren trotzen die Sandsteinstreben Frost, Regen und Sommerhitze; ein unter Stein verlegtes Metallkorsett gibt der Turmspitze bis heute sicheren Halt. "Die größten Schäden haben wir derzeit an Stellen, wo bei Sanierungen in den 1920er und 1970er Jahren neue Steine eingebaut wurden", sagt Projektleiter Thomas Laubscher.

Gemeinsam mit 13 Kollegen ist er dafür verantwortlich, bis Mitte
2011 die Restaurierung des 113 Meter hohen Turms abzuschließen. Die Arbeiten hatten 2006 begonnen, nachdem Gesteinsbrocken auf die Besucherplattform im Inneren des Turms stürzten. Noch in diesem Jahr soll die obere Hälfte der Turmspitze - inklusive der neu vergoldeten Wetterfahne - wieder gerüstfrei sein. "Wir beeilen uns, sonst werden die Freiburger noch irgendwann missmutig", sagt Laubscher.

Am Ende der Arbeiten werden mehr als 100 beschädigte Steine in Handarbeit neu gehauen und ausgetauscht sein - fast ausschließlich solche, die im vergangenen Jahrhundert eingebaut wurden. Laubschers Team nimmt jeden Winkel der Turmspitze unter die Lupe. Konservatorisches Grundprinzip ist es, wo immer möglich die historische Substanz durch aufwendige Steinerhaltungsmaßnahmen zu retten. Derzeit bestehen noch 75 Prozent der Turmspitze aus Originalsteinen des 14. Jahrhunderts, und das soll den Vorgaben der Denkmalschützer zufolge möglichst so bleiben.

"Wir müssen genau klären, woher diese Schäden kommen"
Ein besonderer Problemfall zeigt sich an einer statisch sensiblen
Stelle: Eine tragende Strebe der Turmpyramide weist große Schäden auf; Untersuchungen ergaben, dass sich auch in den umliegenden Bereichen Risse abzeichnen. "Wir müssen genau klären, woher diese Schäden kommen, um die Ursachen zu beseitigen", sagt Laubscher. Derzeit laufen die Analysen. Selbst mit Röntgenstrahlen und Endoskop nehmen die Experten tragende Steinteile und Metallverbindungen in Augenschein. Die Akribie hat ihren Preis: Ein Großteil des Restaurierungsetats von fünf Millionen Euro soll durch private Spenden getragen werden. Trotz Werbekampagne und einiger Großspenden fehlen derzeit noch 700.000 Euro.

Außer den eigentlichen Konservierungsarbeiten geht es am Münsterturm auch um die Erforschung der Baugeschichte. Neuesten Erkenntnissen zufolge steht fest, dass das Innere des Turmes einmal mit rötlicher Farbe verziert war. Möglich ist, dass der Anstrich mit dem Besuch von Marie Antoinette, der späteren Frau des französischen Königs Ludwig XVI., 1770 in Verbindung stand. "Zusammen mit einer Fackelbeleuchtung wollten die Freiburger wohl den Turm ins rechte Licht rücken", sagt Laubscher.

Für solche und andere Untersuchungen ist das Turmsanierungsteam nicht zuletzt auf den fachliche Austausch mit anderen Münsterbauhütten in Deutschland, Frankreich und der Schweiz angewiesen. Unverzichtbar ist zugleich der individuelle Erfahrungsschatz der Mitarbeiter. Laubscher leitete vor Freiburg ein Sanierungsprojekt am welthöchsten Kirchturm, dem Ulmer Münster; Steinmetz Johannes Walz war an Restaurierungen an jahrtausendealten Bauwerken in Ägypten beteiligt. "Manchmal habe ich noch Fingerabdrücke der Erbauer im Mörtel gefunden."

Der Zustand der Turmfassade rechtfertigt die Mühen
Wichtig ist den Restauratoren, Techniken und Materialien einzusetzen, die möglichst denen der Kathedralenbaumeister entsprechen. So fragte Laubscher Stahlwerke in ganz Europa an, um eine spezielle Eisenqualität mit mittelalterlicher Zusammensetzung zu finden. Im vergangenen Winter entwickelte das Bauteam eigens einen Mörtel, der als Fugenmaterial in Beschaffenheit, Bindungsverhalten und Farbgebung an das historische Original heranreicht.

Der Zustand der Turmfassade jedoch rechtfertigt die Mühen: Betrachtet man die Verwitterung exponierter Steine und Zierelemente wird deutlich, dass die Bauherren des Mittelalters bei der Auswahl des Gesteins ein besseres Händchen hatten als die des 20. Jahrhunderts. Perfekt erhaltene, 700 Jahre alte Kreuzblumen stehen bröckelnde Sanierungsfälle von 1970 gegenüber. "Die von uns jetzt eingebauten Steine werden aber auch Jahrhunderte halten", verspricht Laubscher.