Zweiter Weltkrieg prägt deutsch-polnische Beziehungen bis heute

Reparationsfrage nicht vom Tisch

Vor 80 Jahren begann der Zweite Weltkrieg mit dem deutschen Angriff auf Polen. Die grausame Besatzung liegt immer noch als Schatten auf dem Verhältnis beider Völker. Unter den Jüngeren scheint Normalisierung in Sicht.

Autor/in:
Oliver Hinz
Vor 80 Jahren begann der Zweite Weltkrieg / © dpa (dpa)
Vor 80 Jahren begann der Zweite Weltkrieg / © dpa ( dpa )

Jeden 1. August um 17.00 Uhr heulen in Warschau die Sirenen und die Kirchenglocken läuten. Polens Hauptstadt ehrt mit einer Schweigeminute die Kämpfer des Warschauer Aufstands von 1944 gegen die deutschen Besatzer. Das ist einer der emotionalsten Gedenkmomente an den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg gegen Polen mit bis zu sechs Millionen Toten. Das Ziel der deutschen Besatzer sei es gewesen, die "polnische Identität auszulöschen", sagte Außenminister Heiko Maas (SPD) beim jüngsten Gedenken in Warschau. Er sei gekommen, um die Toten zu ehren und "weil ich das polnische Volk um Vergebung bitten möchte".

Wie sehr belastet heute - 80 Jahre nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 - der Zweite Weltkrieg die Beziehungen zwischen beiden Nachbarländern? Nur 14 Prozent der Polen und 19 Prozent der Deutschen sagen, der Krieg habe keinen Einfluss mehr auf die aktuellen Beziehungen. Laut der Studie des Warschauer Instituts für Öffentliche Angelegenheiten spielen die Kriegsgeschehnisse bis heute für jeden dritten Polen eine große Rolle im Verhältnis zu Deutschland. 2008 waren es noch 43 Prozent. In Deutschland sehen momentan 22 Prozent einen starken Einfluss auf die Beziehungen. Die Mehrheit der Bürger in beiden Ländern meint, der Zweite Weltkrieg beeinflusse die gegenseitigen Beziehungen nur gering.

Generationen bewerten den Krieg unterschiedlich

Die jüngeren Generationen schreiben der Kriegsproblematik naturgemäß eine geringere Bedeutung zu als die älteren. Sehr unterschiedlich beantworten Deutsche und Polen die Frage, ob die internationale Öffentlichkeit das Leid und die Opfer der Polen ausreichend anerkennen. Fast jeder zweite Pole sagt "Nein". 62 Prozent der Deutschen glauben dagegen "Ja".

Und so ist auch die Frage nach deutschen Kriegsreparationen an Polen nicht vom Tisch. Sein Land habe von Deutschland "keine angemessene Kompensation für die Gräueltaten des Zweiten Weltkriegs bekommen", sagte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki vergangene Woche.

Forderung nach Reparationszahlungen

"Wir haben sechs Millionen Menschen im Zweiten Weltkrieg verloren - weit mehr als andere Staaten, die umfangreiche Reparationszahlungen erhalten haben. Das ist nicht fair. Dabei kann es nicht bleiben." Eine Summe wollte der Regierungschef noch nicht nennen. Eine polnische Parlamentariergruppe werde noch einge Monate brauchen, um die Kriegsschäden zu ermitteln. Offiziell fordert die Regierung in Warschau allerdings bisher keine Reparationen von Berlin.

Ein großer Teil der polnischen Bevölkerung wünscht sich eine deutsche Entschädigung für die Kriegsverbrechen. Ungefähr ebenso viele Polen halten jedoch nichts davon, die Reparationsfrage aufzuwerfen. Auch die polnischen Bischöfe warnten 2017 vor einer Stimmungsmache gegen Deutschland. Das Wort "Versöhnung" bestimme seit mehr als einem Vierteljahrhundert die deutsch-polnischen Beziehungen, hieß es damals in einer Erklärung.

Auch polnische Stimmen gegen Reparationszahlungen vorhanden

Gegen Reparationsforderungen sprechen sich vor allem junge Polen wie die 15-jährige Jagoda Sip aus. "Die Deutschen sollten Polen keine Kriegsreparationen zahlen, weil die deutsch-polnischen Beziehungen wirklich gut sind", meint die Schülerin. Die Zahlung einer so großen Summe könne die Beziehungen verschlechtern. Für das Kriegsgeschehen seien Menschen der damaligen Generation verantwortlich, nicht ganz Deutschland, sondern die Nazis. "Und die jetzigen Deutschen loben bestimmt nicht die Verbrechen der Nazis. Deshalb sollten sie nicht für die Fehler ihrer Vorfahren zahlen", so Sip.

Der Warschauer Politologe Marek Cichocki forderte in der Zeitung "Rzeczpospolita" von Berlin eine "Geste des guten Willens gegenüber den Opfern, die wir von deutscher Seite noch nie erhalten haben". Er warf Außenminister Maas vor, zwar um Vergebung zu bitten, aber eine gerechte Entschädigung zu verweigern.

Vielleicht finden am 80. Jahrestag des Kriegsbeginns am 1. September die Präsidenten von Polen und Deutschland die richtigen Worte. Andrzej Duda und Frank-Walter Steinmeier werden sich dann zuerst im südpolnischen Wielun und dann in Warschau gemeinsam an die Menschen wenden. In Wielun finden erst seit einigen Jahren nationale Gedenkfeiern statt. Mit dem Angriff von deutschen Sturzkampfflugzeugen auf die Kleinstadt fing um 4.40 der Zweite Weltkrieg an - noch bevor das Schulschiff Schleswig-Holstein das Feuer auf die Westerplatte bei Danzig eröffnete.


Quelle:
KNA