Religion spielte während der Corona-Krise eine geringe Rolle

Nur noch Halt für Wenige

Was den Deutschen in der Pandemie half und welche Rolle dabei die Religion spielte, ist jetzt im Religionsmonitor zu lesen. Mitverfasserin Carolin Hillenbrand sieht Religion da nur noch in einer nebengeordneten Funktion.

Gottesdienstbesucher mit Maske / © Harald Oppitz (KNA)
Gottesdienstbesucher mit Maske / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: 4.400 Deutsche ab 16 Jahren sind für den Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung im Sommer letzten Jahres befragt worden. Welche Rolle hat denn die Religion für die Deutschen in dieser schweren Zeit gespielt, wo doch angeblich Not beten lehrt? 

Carolin Hillenbrand / © Jannis Butterhof (privat)
Carolin Hillenbrand / © Jannis Butterhof ( privat )

Carolin Hillenbrand (Theologin und Politikwissenschaftlerin, Mitverfasserin des Religionsmonitors der Bertelsmann Stiftung): Wir sehen, dass die Religion nur noch eine nebengeordnete Rolle spielt. Auf der gesellschaftlichen Ebene zeigt unser Monitor, dass andere Systeme wie Wissenschaft oder Gesundheit eine noch wichtigere Rolle bei der Krisenbewältigung spielen.

Aber wir sehen trotzdem: Auf der persönlichen Ebene hat die Religion vielen Menschen, die religiös sind oder sich einer Religion zugehörig fühlen, geholfen und Kraft, Hoffnung und Zuversicht gespendet. 

DOMRADIO.DE: Der Religionsmonitor besagt, dass es nicht ausschließlich um christliche Religion geht. Sind denn die Ergebnisse für andere Religionen gleich? 

Hillenbrand: Nein, da muss man wirklich differenzieren. Auch die christliche Religion ist in Deutschland sehr vielfältig. Wir haben zwischen katholischen und evangelischen Menschen, aber auch Menschen, die Freikirchen angehören, Evangelikalen, unterschieden. Und auch eine große Anzahl an Muslimen haben wir in unserer Stichprobe dabei.

Da sehen wir Unterschiede. Gerade etwa unter den Muslimen sagen über 70 Prozent, dass die Religion bei der Krisenbewältigung sehr hilfreich war. Auch bei den sehr religiösen freikirchlichen, evangelikalen Menschen in Deutschland hat die Religion eine sehr große Rolle bei der Krisenbewältigung gespielt. 

Carolin Hillenbrand (Theologin und Politikwissenschaftlerin)

"Das stellen wir immer wieder fest, dass Religionsgemeinschaften sehr wichtig sind für das Sozialkapital."

DOMRADIO.DE: Im Religionsmonitor steht auch, dass Religion die Kraft hat, Solidarität und Engagement zu fördern. Wie hat sich das denn festmachen lassen? 

Hillenbrand: Wir sehen, dass Menschen, die sich als religiös bezeichnen oder sich einer Religion zugehörig fühlen, sagen, dass sie sich sehr oft während der Pandemie oder in Krisenzeiten engagiert haben, Solidarität und Hilfsbereitschaft gezeigt haben.

Das stellen wir immer wieder fest, dass Religionsgemeinschaften sehr wichtig für das Sozialkapital sind, also dass man mit anderen Menschen zusammenkommt, dadurch Vertrauen lernt und sich doch mehr engagiert, als andere, weil es gute Strukturen gibt.

Die Gemeinden haben zum Beispiel viel in der Nachbarschaftshilfe gemacht und auch verschiedene Solidaritätsaktionen initiiert. Da zeigt sich auf jeden Fall die soziale Kraft von Religions- und Kirchengemeinden. 

DOMRADIO.DE: Wer sowieso eher kirchengebunden und religiös war und ist, dem half die Religion bei der Bewältigung der Pandemie besser? Kann man das so sagen?

Hillenbrand: Ja, das kann man genau so festhalten. Bei denen, die vorher schon näher an der Religion waren oder in der Gemeinde gebunden waren, sehen wir, dass der Glaube ihnen Kraft und Hoffnung gibt. Bei denjenigen, die von Religion weiter weg waren, die sich nicht als religiös bezeichnen, gab es kein religiöses Revival. Da hat Not nicht beten gelehrt. 

Carolin Hillenbrand (Theologin und Politikwissenschaftlerin)

"Nur so können wir diese vielen und komplexen Krisen, die wir derzeit sehen, bewältigen, indem die verschiedenen Bereiche ineinandergreifen und zusammenarbeiten."

DOMRADIO.DE: Wo haben diese Menschen sich denn Kraft und Trost geholt? 

Hillenbrand: Familie und Nachbarschaft waren für ganz viele eine sehr wichtige Form der Krisenbewältigung. Auch das Gesundheitssystem oder die Wissenschaft wurden als hilfreiche Systeme erachtet. Die Politik schneidet da ein bisschen schlechter ab. 

DOMRADIO.DE: Also Wissenschaft als Ersatzreligion in der Pandemie? 

Hillenbrand: Ja, wenn man es so formulieren will. Es war ja primär eine Gesundheitskrise und dafür sind Gesundheitssystem und Wissenschaft verantwortlich.

Man sieht aber auch schön, dass das eine das andere nicht ausschließt. Selbst diejenigen, die in der Religion Halt gefunden haben, haben auch Halt in der Wissenschaft gefunden. Ich glaube, nur so können wir diese vielen und komplexen Krisen, die wir derzeit sehen, bewältigen, indem die verschiedenen Bereiche ineinandergreifen und zusammenarbeiten. 

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Religion nur für Minderheit wichtig bei Corona-Bewältigung

Bei der Bewältigung der Corona-Pandemie spielten laut einer Studie für die meisten Deutschen die Wissenschaft sowie Familie und Nachbarschaft die entscheidende Rolle. Religion gab trotz einer vermehrten Sinnsuche nur einer Minderheit Orientierung. Das geht aus dem in Gütersloh veröffentlichten Religionsmonitor 2023 der Bertelsmann Stiftung hervor.

Gottesdienstbesucher machen Kreuzzeichen / © Lars Berg (KNA)
Gottesdienstbesucher machen Kreuzzeichen / © Lars Berg ( KNA )
Quelle:
DR