Debatte um Abschaffung des Religionsunterrichts in Rheinland-Pfalz

"Religion braucht religiöse Bildung"

Der Religionsunterricht gehört abgeschafft. Das ist die Forderung der Landesschülervertretung in Rheinland-Pfalz. Religionslehrer Elmar Middendorf sieht das kritisch und betont, der Unterricht sei wichtig, um eine eigene religiöse Identität zu entwickeln.

Diskussion über Abschaffung von Religionsunterricht / © Juan Ci (shutterstock)
Diskussion über Abschaffung von Religionsunterricht / © Juan Ci ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Die Landesschülervertretung stellt die klare Forderung: Der Religionsunterricht gehört abgeschafft. Wie ist Ihre Reaktion als Religionslehrer darauf?

Elmar Middendorf (Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Rheinland-Pfalz der Diözesanvereinigungen katholischer Religionslehrer/innen an Gymnasien und Gesamtschulen): Die Forderung kommt immer wieder, und ich verstehe ein berechtigtes Anliegen, was dahinter steht; dass man nämlich sagt: Schafft ein Fach für alle, in dem alle Schülerinnen und Schüler über Religionen etwas lernen und in dem sie dann auch lernen, miteinander auszukommen.

Das gehört natürlich zum Bildungsauftrag der Schule. Ich frage mich nur, warum dafür der Religionsunterricht abgeschafft werden muss. Denn der Religionsunterricht selbst hat auch noch andere Facetten. Und das, was hier gefordert wird, das gibt es ja: Es gibt in Rheinland-Pfalz das Fach Ethik. Wer sich vom Religionsunterricht abmeldet, nimmt am Ethikunterricht teil. Außerdem: Information über andere Religionen findet auch im Religionsunterricht statt. Und miteinander auszukommen und miteinander zu lernen, das lernt man in allen Fächern. Das lernt man in der Deutschstunde, in der Sportstunde, auf dem Pausenhof, bei der Klassenfahrt.

DOMRADIO.DE: Das Bildungsministerium ist gegen diese Forderung, denn der Religionsunterricht sei wichtig für die Identitätsfindung der Kinder und Jugendlichen. Wie sehen Sie das?

Middendorf: Das ist in der Tat so. Das Recht auf Religionsunterricht ist ja nicht nur in der rheinland-pfälzischen Verfassung begründet, sondern auch im Grundgesetz und ist da beim Recht auf Religionsfreiheit angesiedelt. Religion braucht auch religiöse Bildung. Wer religiös ist, hat ein Recht auf religiöse Bildung. Und wenn der Staat für Bildung zuständig ist, dann muss er eben auch das organisieren.

Religionsunterricht ist ein besonderes Konstrukt. Er ist eben nicht nur Religionskunde - das wäre die radikale Außenperspektive auf Religion. Und er ist auch nicht radikale Innenperspektive - das wäre Katechese. Das ist das, was in der Gemeinde und in den Familien geschieht. Sondern der Religionsunterricht bringt Vernunft und Religion zusammen, und das ermöglicht Schülerinnen und Schülern, eine eigene religiöse Identität zu entwickeln.

Sie kommen als religiöse Menschen. Sie werden ja nicht durch den Religionsunterricht religiös gemacht. Sie kommen als Gläubige und wollen jetzt in der Schule lernen, wie sie vernünftig mit ihrem Glauben umgehen können, damit sie auch in den Diskurs treten können.

DOMRADIO.DE: Sie selbst unterrichten ja auch Religion. Wie erleben Sie denn das Interesse der Schüler? Hat sich das irgendwie innerhalb der letzten Jahre geändert?

Middendorf: Ich würde sagen: Nein. Also erstmal muss ich sagen: Ich unterrichte Religion und Mathe, das ist auch wesentlich. Fast alle Religionslehrer haben auch noch ein weiteres Fach, kennen die Schule also auch aus verschiedenen Seiten. Ich kenne die Zahlen in Rheinland-Pfalz: Es ist so, dass von allen katholischen und evangelischen Schülerinnen und Schülern im Land 95 Prozent am Religionsunterricht teilnehmen, wobei die Bindung an eine Gemeinde nicht anders sein dürfte als deutschlandweit. Ich schätze mal, maximal 20 Prozent meiner Schülerinnen und Schüler haben einen lebendigen Bezug zu einer Kirchengemeinde. Und das finde ich erstaunlich, dass so viele mehr am Religionsunterricht teilnehmen, als am kirchlichen Leben.

Ich habe, direkt nachdem ich diese Forderung gehört habe, in meinem Kurs mal gefragt: Was haltet ihr davon, den Religionsunterricht abzuschaffen und ein Fach zu schaffen, in dem allgemein über Religion informiert wird, in dem kritisch über Religion geredet werden kann? Und da war die Meinung: Das passiert doch gerade hier, darum sind wir doch im Religionsunterricht.

DOMRADIO.DE: Die Landesschülervertretung spricht ja auch über mögliche Alternativen. In Brandenburg gibt es zum Beispiel ein Fach, in dem geht es um Weltanschauungen, verschiedene Religionen und eben auch um Kritik. Wäre das denn eine geeignete Alternative zum katholischen Religionsunterricht?

Middendorf: Das ist eigentlich keine Alternative. In Brandenburg sind die Voraussetzungen anders. In Brandenburg sind, schätze ich, 80 Prozent der Menschen nicht an ein religiöses Bekenntnis gebunden. Der Staat bietet dann "Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde" (LER) als verpflichtendes Unterrichtsfach an. Wer sich aber religiös bekennt, der kann sich von diesem Fach abmelden und bekommt dann Religionsunterricht.

Bei uns ist es umgekehrt: Hier sind die meisten Menschen - etwa zwei Drittel - immer noch Christen. Darum ist der Regelfall der Religionsunterricht. Wer sich abmeldet, bekommt Ethikunterricht. Das ist ungefähr vergleichbar mit dem, was in Brandenburg LER ist. Ich denke, wichtig ist, dass der Staat sich nicht anmaßt, nochmal über den Religionen und Weltanschauungen zu stehen und sozusagen eine übergeordnete Position einzunehmen, von der aus man das alles bewerten kann. Dann würde der Staat in der Tat seine weltanschauliche Neutralität aufgeben. 

Das Interview führte Carsten Döpp.


Quelle:
DR