Religiöse Rituale helfen beim Umgang mit Demenzkranken

Gott körperlich spüren

In vielen Seniorenzentren haben die geistlichen Seelsorger und pflegenden Helfer in der Religion ein Mittel gefunden, den Zugang zu Demenzkranken offen zu halten. Dabei haben die katholischen Seelsorger mehr Möglichkeiten als ihre evangelischen Glaubensschwestern und -brüder.

Autor/in:
Klaus Schlupp
Seniorenheim: Freude am Glauben (DR)
Seniorenheim: Freude am Glauben / ( DR )

Konzentriert blättert Heinz Josef Wilkens (Name geändert) aus dem Seniorenzentrum Sankt Severin in Aachen-Eilendorf in seiner Chagall-Bibel. Viele Texte kennt er, und mit den Bildern kann er etwas anfangen. Selbstverständlich ist das nicht, denn der ältere Herr leidet an Demenz.  



Die Bewohner des Seniorenzentrums werden durch das Kirchenjahr begleitet. So gibt es zu Aschermittwoch eine Austeilung des Aschekreuzes, an Palmsonntag werden Palmzweige zu den Bewohnern gebracht. Zweimal in der Woche finden normale Eucharistiefeiern der Pfarrei im Haus statt. Eine Fernsehkamera überträgt aus der Pfarrkirche darüber hinaus ständig ein Bild vom Tabernakel aus dem Altarraum.



Auch wenn im Verlauf der Krankheit der Intellekt und viele Fähigkeiten schwinden, Gefühle und religiöse Bedürfnisse bleiben, erläutert Zentrumsleiter Ewald Heup. "Wir legen Wert darauf, dass dementiell veränderte Menschen in die normalen Angebote eingebunden werden."



Tröstliche Botschaften bevorzugt

Psychiatrie-Seelsorgerin Caroline Braun feiert gemeinsam mit Mitarbeitern von Seniorenzentren zweimal jährlich einen ökumenischen Gottesdienst für die Dementen. Auch hier gilt: Texte und Lieder müssen bekannt sein, die Botschaft tröstlich. "Wichtig beim Umgang mit dementiell Veränderten ist das Ritual und die Erinnerung", sagt Braun. Zum Sehen und Riechen müsse etwas dabei sein. Blumenschmuck, die Albe der Seelsorgerin, Kerzen und natürlich Kaffee und etwas Passendes zu essen am Schluss seien Voraussetzung für gutes Gelingen. Beim Herbstgottesdienst gab es deshalb "Lutherkekse". Schließlich war der Reformator das Thema des Tages.



Demenz bedeute keinesfalls den völligen Verlust aller geistigen Kompetenzen, erläutert Heup. Viele Fähigkeiten seien noch da und müssten so lange wie möglich auch erhalten bleiben. Heutige Senioren seien noch stark religiös geprägt, und hätten vieles so verinnerlicht, dass sie es auch im Zustand der Hochdemenz noch beherrschten. "Der Rosenkranz ist ganz wichtig", so der Zentrumsleiter. Ähnliches gelte für Segnungen, Weihwasser und Aschekreuz. Mit Hilfe solcher Rituale könnten auch Erinnerungen bei den Bewohnern geweckt werden.



Evangelischen Christen fehlten viele dieser Möglichkeiten, gibt der evangelische Pfarrer Theodor Maas zu bedenken. "In dieser Hinsicht beneide ich die Katholiken. Die haben einfach mehr Möglichkeiten, sich ihres Glaubens zu vergewissern." Die körperlichen Dinge wie das Benetzen der Hand mit Weihwasser, der Duft von Weihrauch oder das Gleiten der Rosenkranzperlen durch die Finger fehle Protestanten. Mit reformatorischen Mitteln versuchten deshalb evangelische Geistliche, sich Zugang zu den Dementen zu verschaffen. Bibelzitate und vor allem das reiche evangelische Liedgut böten Möglichkeiten, zu ihnen durchzudringen.



Kirchenländer werden beherrscht

Caroline Braun ist erstaunt, wozu dementiell veränderte Menschen noch fähig sind. "Die wissen ihren Namen oft nicht mehr, kennen aber dafür Kirchenlieder mit allen Strophen." So verwundert es nicht, dass beim Gottesdienst das Lutherlied "Ein feste Burg" von vier evangelischen Sängern souverän und in allen Strophen erklingt.



Plötzlich erscheint Pastor Peter Pütz in der Tür des Seniorenzentrums. Der Ruhestandsgeistliche war jahrzehntelang katholischer Pfarrer in Eilendorf. Regelmäßig holt er sich aus der Küche sein Mittagessen ab und nutzt gleichzeitig die Gelegenheit, seine alten Pfarrkinder zu besuchen. Sofort geht er auf eine etwas abwesend wirkende Dame zu und begrüßt sie. Die Dame erkennt ihn sofort. "Da ist immer Freude auf beiden Seiten", sagt er. Das Problem Demenz nimmt er locker. "Jesus begegnet uns im Anderen, und wir Geistlichen müssen uns eben auf jede Zielgruppe einstellen."