Reformierte Christen erinnern an 500. Geburtstag von Johannes Calvin

Ein Reformator mit Hang zur Pünktlichkeit

Aus Anlass des 500. Geburtstags des Kirchenreformators Johannes Calvin im nächsten Sommer ist am Sonntag in Genf ein Gedenkjahr eröffnet worden. Bis zum November 2009 sollten Kongresse, Symposien und Ausstellungen über das Leben und Werk des Reformators stattfinden, teilte der theologisch auf Calvins Lehren gründende Reformierte Weltbund in Genf mit.

Autor/in:
Stephan Cezanne
Johannes Calvin (epd)
Johannes Calvin / ( epd )

Johannes Calvins extremer Hang zur Pünktlichkeit soll einst die Entwicklung der Uhrenindustrie in Genf befördert haben. In die Weltgeschichte ging der Humanist, Jurist und Theologe freilich als Reformator der spätmittelalterlichen Kirche ein. Geboren wurde er am 10. Juli 1509 in Noyon - etwa 100 Kilometer nördlich von Paris.

Heute berufen sich weltweit fast 90 Millionen reformierte Christen auf Calvin. Zur Erinnerung an seinen 500. Geburtstag im nächsten Jahr eröffnen der Reformierte Weltbund und der Schweizerische Evangelische Kirchenbund am 2. November 2008 in seiner Wirkungsstätte Genf das internationale Calvin-Jahr 2009.

Kein Theologe hat das protestantische Christentum neben und nach Martin Luther (1483-1546) weltweit so tiefgreifend geprägt wie Calvin, sind sich Kirchengeschichtler einig. Auch die moderne Demokratie und die Idee der Menschenrechte wurden von ihm beeinflusst. In seiner Mitte des 16. Jahrhunderts entwickelten berühmten Genfer Kirchenordnung sehen viele ein Modell der späteren staatlichen Gewaltenteilung. Seine Theologie zeichnet sich aus durch elegante Schlichtheit. Bis heute sind reformierte Gemeinden zudem antihierarchisch geprägt, im Gegensatz zu episkopal-bischöflich geleiteten Kirchen.

   Doch im Gegensatz zu dem barocken Wittenberger Reformator Luther ist der auf Gemälden stets hager und streng wirkende Asket Calvin heute eher unpopulär. «Es ist wahr, dass manche Züge Calvins den Menschen in der Moderne wohl eher fremd bleiben werden», räumen die Initiatoren des Calvin-Jahres ein. Das Bild Calvins ist vor allem geprägt von den theologischen Feindseligkeiten zwischen Lutheranern und Reformierten - denn die Lutherischen hassten die Calvinisten mehr als die Katholiken. Schließlich beendeten erst vor 50 Jahren lutherische und reformierte Christen nach rund 400 Jahren ihre Auseinandersetzungen, und begannen, gemeinsam Abendmahl zu feiern.

   Seit dem 16. Jahrhundert entstand das Klischee der lust-, kunst- und lebensfeindlichen Calvinisten. Doch tatsächlich waren die reformierten Christen dem Toleranzgedanken zugänglicher als das Luthertum. «Das lag schon daran, dass die Calvinisten gebildeter und vornehmer, in der Lebensführung sittlicher waren als die Lutheraner», bemerkt die große deutsche Dichterin und Historikerin Ricarda Huch
(1864-1947): «Handel und Gewerbe brachten eine gewisse Weitherzigkeit gegenüber fremden Nationen und Bekenntnissen mit sich.»

   So verwandelte Calvin, der Luther nie begegnete, die damalige Provinzstadt Genf in ein intellektuelles Zentrum Europas. Er zog Gelehrte, Handwerker, aber auch Familien an, die vor der religiösen Verfolgung flüchteten. Damit trug er zur wirtschaftlichen Dynamik dieser Region bei: neben der Uhrenindustrie zeugt auch das Bankgewerbe bis heute davon.

   Gerade die von dem Soziologen Max Weber (1864-1920) attestierte Nähe zwischen Calvinismus und Kapitalismus wirkt auf viele Menschen befremdlich. «Doch Webers Rückführung des Geistes des Kapitalismus auf die sogenannte calvinistische innerweltliche Askese und das Streben nach wirtschaftlichem Erfolg als Erwählungsgewissheit hält einer kritischen Prüfung nicht stand», betont der Theologieprofessor Matthias Freudenberg (Wuppertal). Calvin selbst kritisierte den Lebenswandel der Reichen in Genf.

   Es gab aber auch den dunklen Calvin. Wegen seiner Kompromisslosigkeit in Glaubensfragen galt er als «Despot aus Genf».
Besonders seine aktive Rolle bei der Anklage gegen den spanischen Arzt und Juristen Michael Servet (1511-1553) belastet seinen Ruf bis heute schwer. Servet wurde Ketzerei und Gotteslästerung vorgeworfen.
Er endete schließlich am 27. Oktober 1553 auf dem Scheiterhaufen. Der Schriftsteller Stefan Zweig (1881-1942) urteilt hart: «Calvin aber entehrt die Reformation bereits im zweiten Jahrzehnt seiner Herrschaft durch diesen erbärmlichsten Akt seiner geistigen Tyrannei.» Historiker relativieren diese Vorgänge heute und entlasten Calvin mit den Zeitumständen.

   Was aber war Calvin für ein Mensch? Einige Zeitzeugen beschreiben ihn als persönlich unduldsam, andere als geduldigen Vermittler in Auseinandersetzungen. Sein Leben ist durchzogen von der Strenge gegen sich selbst. Sein Vater Gérard Cauvin arbeitete sich aus einfachen Verhältnissen zu einer bürgerlichen Stellung empor, früh verlor der junge Jean seine sanftmütige und fromme Mutter. Als in Paris ausgebildeter Jurist kam Calvin mit französischen Kirchenreformern zusammen, die auch von Luther beeinflusst waren. Doch bald musste er aus Paris vor den katholischen Verfolgern fliehen. Später schärfte er den französischen Protestanten ein, mit dem Katholizismus keine Kompromisse zu schließen.

   In Genf sollte er ab 1536 mithelfen, die Reformation mitzugestalten. «Mir war», schrieb Calvin später, «als wenn Gott von oben herab seine Hand ausgestreckt und auf mich gelegt hätte.» 1549 stirbt Calvins Frau, ein aus der Ehe stammender Sohn überlebt die Geburt nur kurz. Nach einem Leben voller Krankheiten starb er selbst am 27. Mai 1564 im Alter von 54 Jahren in Genf. Auf eigenen Wunsch wurde er an einem unbekannten Ort und ohne Trauerfeier beigesetzt. Er wollte nicht verehrt werden. Der Nachwelt hinterließ er nicht nur ein umfangreiches literarisches Lebenswerk - die Calvin-Gesamtausgabe umfasst rund 60 Bände - sondern auch eine nach wie vor Millionen Menschen weltweit faszinierende Form evangelischer Frömmigkeit.