Recollectio-Haus-Leiterin sieht frustrierte Seelsorger

"Auch Priester können in eine Sinn- und Glaubenskrise kommen"

Nicht nur Katholikinnen und Katholiken sind durch die derzeitige Kirchenkrise zunehmend frustriert; auch Seelsorger leiden unter ihrer Kirche. Im Recollectio-Haus in Münsterschwarzach können sie eine Auszeit nehmen.

Corinna Paeth / © Abtei Münsterschwarach, Recollectio-Haus (privat)
Corinna Paeth / © Abtei Münsterschwarach, Recollectio-Haus ( privat )

KNA: Wie groß ist der Frust über die derzeitige Kirchenkrise unter den Priestern und anderen in der Seelsorge Beschäftigten, die bei Ihnen im Recollectio-Haus eine Auszeit nehmen?

Corinna Paeth (Leiterin des Recollectio-Hauses in Münsterschwarzach und Psychologische Psychotherapeutin): In den vergangenen Jahren hat das deutlich zugenommen, vor allem 2021. Zahlreiche Priester berichten von Frustration und Unverständnis, wie die Kirche mit sexuellem und seelischem Missbrauch umgeht, aber auch mit dem Thema Macht. Aber sie bringen auch eigene Themen mit, bei denen wir sie begleiten.

Bedingt durch den bürokratischen Umgang durch die Diözesanleitung sowie der allgemeinen eher negativ getönten Stimmung unter den Klerikern ist die Frustration bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern groß. Manch einer überlegt, ob er noch in der richtigen Kirche ist, kommt in eine Sinnkrise oder überlegt sich, ob er nur noch Dienst nach Vorschrift macht, um selbst überleben zu können in der Kirche.

KNA: Was belastet Ihre Gäste am meisten?

Paeth: Es kommen oft mehrere Dinge zusammen, die zu einer Art Dominoeffekt führen: Manch einer hat daran zu knapsen, dass die Pastoral- und Seelsorgebereiche zugenommen haben, verbunden mit einem größeren Aufgabenbereich; ein Pfarrer ist meist nicht mehr nur Seelsorger, sondern auch Manager in einem großen Seelsorgebereich.
Zugleich fühlt er sich nicht ausgebildet für die Verwaltung. So kommt er systematisch in eine Überforderung, kann sich in seiner wenigen Freizeit kaum noch erholen und für sich sorgen. Durch diese Überforderung rutscht er eventuell auch in eine depressive Krise.
Manche suchen einen Ausgleich in ungesunden Angewohnheiten wie zu viel Alkohol.

Wieder andere kommen nicht mehr mit dem Pflichtzölibat zurecht. Ihre Bedürftigkeit nach Zuwendung ist so groß geworden, dass sie sich nach einer Partnerin oder einem Partner umschauen. Das kann wiederum zu einer inneren Zerrissenheit mit der eigenen Rolle führen, der man nicht mehr gerecht werden kann. Und wenn dann noch die Machtfrage und diese ganze Missbrauchsthematik in jener Institution, die sie repräsentieren, dazu kommen, dann werden die Selbstzweifel noch größer.

KNA: Man sollte meinen, Seelsorger haben einen unerschütterlichen Glauben. Stimmt das überhaupt - oder lassen die genannten Probleme Seelsorger auch vom Glauben abfallen?

Paeth: Es wäre schön, wenn jeder so ein sicheres Glaubensfundament hätte. Aber Priester und Pfarrer sind auch nur Menschen; auch sie können in eine Sinn- und Glaubenskrise kommen. Hinter der Haltung "Dienst nach Vorschrift" kann sich hinter der Priesterfassade auch ein sehr zweifelnder Mensch verstecken. Manch einer braucht diese Fassade, um in der Kirche überhaupt zu überleben und den Beruf auszuüben zu können. Privat verspüren manche einen recht großen Leidensdruck. So einen großen inneren Konflikt hält auf Dauer manch einer nicht aus. Eines Tages kann die Psyche kippen, die durch psychosomatische Symptome einen Alarmknopf drückt. Für manche ist das ein Anlass, sich endlich eine Auszeit zu nehmen und auch mal für sich zu sorgen.

KNA: Wie können Sie den Seelsorgern konkret helfen?

Paeth: Zunächst mal gilt: Wenn die Gäste unser Haus betreten, sollten sie ihre Rolle als Seelsorger und ihren beruflichen Alltag vor der Tür lassen. Wir möchten sie als Mensch empfangen und als Mensch begleiten, und zwar ganzheitlich. Von der psychologischen, von der geistlich-spirituellen, von der sportlichen, von der kreativen Seite.
Wir möchten sie in einer gesunden Selbstfürsorge bestärken und begleiten, damit sie ein zufriedenes, gesundes Leben führen können.

KNA: "Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst" - dieses "wie Dich selbst" scheint nicht so leicht zu sein...

Paeth: Viele Seelsorger haben hohe Ansprüche an sich selbst, wollen es allen recht machen. Sie müssen aber auch lernen, Nein zu sagen und sich abzugrenzen, wenn mal wieder ein neuer Termin, eine neue Aufgabe kommt. Zugleich sollten sie ihre die Wochenstruktur so einteilen, dass immer wieder Freiräume da sind, in denen sie Kraft schöpfen und eigenen Hobbys nachgehen können.

Das fällt vielen schwer. Gerade Priester und Ordenschristen haben das Dienen verinnerlicht - über ihre Grenzen hinaus. Sie werden angetrieben von ihrem inneren Kritiker und Perfektionisten. Sie müssen wieder lernen, auch sich selbst mehr zu lieben und barmherziger mit sich zu sein. Wir möchten ihnen dabei helfen, die Selbstverantwortung und Selbstfürsorge zu stärken.

KNA: Bei Pflegekräften ist ja bekannt, dass immer mehr durch die Belastung den Beruf wechseln. Beobachten Sie einen schleichenden Exodus auch bei Ihren Gästen?

Paeth: Diesen schleichenden Exodus gibt es wohl schon immer (lacht) - unabhängig von den aktuellen Krisen in der Kirche. Klerikalismus und Macht, Unterdrückung und Überforderung sind Themen, die schon länger da sind. Manch einer fühlt sich völlig erschöpft, kann sich nicht mehr mit der Kirche identifizieren. Einige unserer Gäste nutzen die Auszeit bei uns, um Klarheit über ihre berufliche Zukunft in der Kirche zu schaffen. Aber ich kann nicht sagen, dass durch die Missbrauchskrise vermehrt Priester ihr Amt niederlegen.

Denn es gibt auch viele Priester, die bei ihrer Auszeit spüren, dass sie sehr wohl noch zu ihrer Berufung stehen. Sie möchten gerne Priester oder Seelsorger sein und vor Ort eine Kirche leben und erlebbar machen, für die sie einmal die Priesterweihe empfangen haben. Sie möchten sich vor Ort bemühen, ihren Idealen von einer menschenzugewandten Kirche gerecht zu werden. Die Kirche mag in einer schweren Krise stecken - aber es gibt weiterhin unzählige Seelsorger, die ihre Berufung aus vollem Herzen leben.

Das Interview führte Angelika Prauß.

 

Quelle:
KNA