Rechtsextreme Einstellungen im Westen häufiger als im Osten

Unter Verdacht: Über 60-jährige westdeutsche Männer

Im Westen Deutschlands gibt es einer Umfrage zufolge mehr Menschen mit rechtsextremen Einstellungen als im Osten. 8,6 Prozent aller Bundesbürger hätten ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild, davon 9,1 Prozent im Westen und 6,6 Prozent im Osten, sagte der Leipziger Medizinsoziologe Elmar Brähler am Mittwoch vor Journalisten in Berlin. Die Studie mit insgesamt 5.000 Befragten entstand im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung. Dr. Dietmar Molthagen stellt die Studie im domradio-Interview vor.

 (DR)

Problem alter Männer?
Dabei seien Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, Sozialdarwinismus, Chauvinismus, Verharmlosung der NS-Zeit und Befürwortung einer Diktatur am häufigsten bei über 60-jährigen westdeutschen Männern vorzufinden, sagte Brähler, der als Inhaber des Lehrstuhls für Medizinische Soziologie der Leipziger Universität die Untersuchung leitete. Die Einstellung schlage sich allerdings bisher nicht im Wahlverhalten nieder. „Die Rechtsextremen wählen in ihrer Mehrheit die etablierten Parteien", erklärte der Wissenschaftler.

Auch Rechtsextreme wählen Volksparteien
So gebe der katholische Rechtsextreme in Fulda seine Stimme der CDU und der rechtsextremistische Gewerkschafter im Ruhrgebiet kreuze immer noch die SPD an. Die Wahlerfolge von NPD oder DVU in den neuen Bundesländern führte Brähler auf die mangelnde Parteienbindung der Ostdeutschen zurück.

Nach der Studie befürworten insgesamt 4,8 Prozent der Deutschen eine braune Diktatur, 4,4 im Westen und 6,5 im Osten. Auch Ausländerfeindlichkeit sei im Osten mit rund 31 Prozent gegenüber 26 Prozent im Westen (Gesamt: 26,7 Prozent) häufiger anzutreffen. Ähnlich verhalte es sich zudem bei Einstellungen zum Sozialdarwinismus. Hier betrage das Verhältnis 6,2 zu 4,6 Prozent.

Weitverbreitet: Antisemitismus
Dagegen haben fast zehn Prozent aller Westdeutschen verfestigte antisemitische Einstellungen (Osten: 4,2). So finden 20 Prozent der Bewohner zwischen Nordsee und Alpen den Einfluss der Juden heute noch zu groß (Osten: 9,2 ), knapp 16 Prozent meinen, die Juden arbeiteten mehr als andere Menschen mit üblen Tricks, um das zu erreichen, was sie wollen (Osten: 6,1 ) und 14,7 Prozent fänden, die Juden hätten etwas Eigentümliches und passten nicht so recht zu uns (Osten: 9,0).

4,6 Prozent der West- und zwei Prozent der Ostdeutschen neigten zu einer Verharmlosung der NS-Zeit, in dem sie beispielsweise glauben, das Hitler ohne die Judenvernichtung heute als großer Staatsmann angesehen würde (West: 12,7/Ost:7,7 Prozent). Neun Prozent im Westen und fünf Prozent im Osten sind zudem überzeugt, dass die Verbrechen der Nazis in der Geschichtsschreibung weit übertrieben werden.

Ursachenforschung quer durch alle Schichten
Untersucht wurden auch Faktoren, die zu rechtsextremen Einstellungen führen können, sagte der Co-Autor der Studie, Oliver Decker. Die Auswertung habe ergeben, dass fehlende emotionale Wärme in der Erziehung besonders durch den Vater, eine verschlossene misstrauische Persönlichkeitsstruktur, das Gefühl politischer, sozialer und wirtschaftlicher Isolation sowie ein niedriges Selbstwertgefühl und die Unfähigkeit, mit belasteten Lebenssituationen umzugehen, eine derartige Entwicklung förderten.

Die Studie zeige, dass rechtsextremes Gedankengut sich nicht nur am rechten Rand der Gesellschaft, sondern auch in deren Mitte bestehe, sagte Decker. Es finde sich quer durch alle Bevölkerungsschichten, Bundesländer, Generationen und bei den Wählern aller Parteien. Für die etablierten Parteien heiße das, sich inhaltlich und klar dagegen abzugrenzen.

Thierse: Rechtsextremistisches Gedankengut kein RandproblemNach Einschätzung von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse reicht rechtsextremistisches Gedankengut bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein. Dazu gehörten für ihn Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus sowie die Verachtung von Demokratie, erklärte der SPD-Politiker am Donnerstag im RBB-"Info-Radio".

Politik und Gesellschaft müssten diese Entwicklung sehr ernst nehmen, mahnte Thierse. So dürften die Wähler rechtsextremer Parteien nicht verharmlosend als Protestwähler bezeichnet werden. Die am Mittwoch vorgestellte Studie zeige, dass es "einen beunruhigenden Prozentsatz von Menschen gebe, die ein einigermaßen geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild" hätten.